Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
sie und Daisy, wie sie Hutch, Shea und mehreren Freundinnen des älteren Mädchens dabei half, rings um einige ältere Gräber Unkraut zu zupfen. In der Ferne machte sie den Wasserturm mit den riesigen Buchstaben aus, die den Namen „Parable“ ergaben. Die alte Leiter, die zum Tank hinaufführte, wurde von jeder neuen Generation als eine Herausforderung angesehen, der man sich stellen musste, so als würde der Turm jedem Jugendlichen zurufen: „Bezwing mich doch.“
„Vermutlich hast du recht“, sagte Kendra sehr leise, obwohl sie zugeben musste, dass ihr die eigentliche Aussage ihrer Freundin längst entfallen war. Im nächsten Moment hörte sie etwas, das nach einem erschrockenen Keuchen klang.
Als sie sich umdrehte, sah sie Joslyn dasitzen, die Hände auf ihren Bauch gedrückt, die Augen in freudiger Erwartung weit aufgerissen. „Ich glaube, es ist so weit“, flüsterte sie und sah sie mit strahlender Miene an.
„O mein Gott“, rief Kendra erschrocken und legte eine Hand vor den Mund.
Opal kam zu ihnen und nahm die Situation entschlossen in die Hand. „Also, erst mal bewahren jetzt alle die Ruhe“, verkündete sie in einem Tonfall, der kein Widerwort duldete. „Auf der ganzen Welt kommen in jeder Sekunde zig Babys auf die Welt, und für dieses Baby hier wird alles gut ausgehen.“
„H…holt Slade“, brachte Joslyn heraus, die lächelte und zugleich nervös zusammenzuckte. „Bitte.“
Niemand musste sich auf die Suche nach Joslyns Ehemann begeben, er schien einen Sensor eingebaut zu haben, der auf seine Frau eingestellt war. Kendra atmete erleichtert auf, als sie ihn mit ausholenden, schnellen Schritten herbeieilen sah. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er bei Joslyn ankam und sich vor ihr hinkniete.
„Ruhig atmen“, wies er sie an und griff nach ihren Händen.
Joslyn lachte auf, dann nickte sie und begann tief durchzuatmen.
„Dann ist es jetzt so weit?“, fragte er mit rauer Stimme, wobei er eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlte.
„Auf jeden Fall“, antwortete sie.
„Dann wollen wir mal.“ Slade richtete sich auf und half Joslyn beim Aufstehen, er legte einen Arm um sie und führte sie zum Parkplatz. Opal zog ihre Schürze aus und drückte sie der nächstbesten Frau in die Hand, die neben ihr stand, dann lief sie mit ihrer großen Lacklederhandtasche hinter den beiden her.
Plötzlich tauchte Shea gemeinsam mit Madison und Daisy neben Kendra auf, sie wirkte besorgt und irgendwie verloren. Kendra legte einen Arm um das junge Mädchen und drückte seine Schulter. „Es wird alles gut ausgehen“, beharrte sie. „Ganz so, wie Opal es gesagt hat.“
„Und mich haben sie darüber völlig vergessen“, beklagte sich Shea betrübt und sah ihren Stiefeltern und Opal hinterher, die sich in aller Eile zurückzogen.
„Nein, Sweetheart“, versicherte Kendra ihr hastig. „Sie sind nur völlig begeistert und vermutlich auch ein bisschen verängstigt, weil das Baby kommt.“
Shea biss sich auf die Unterlippe und schluckte angestrengt, schließlich brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. „Mit einem Baby werde ich wohl kaum mithalten können“, überlegte sie. „Vor allem weil es wirklich zu ihnen gehört, aber ich nicht.“
Kendra wusste, wie sehr Shea Slade anbetete - ihre Mutter, die zugleich seine Exfrau war, hatte längst wieder geheiratet und lebte inzwischen in Los Angeles. Und sie wusste auch, dass Slade Shea genauso liebte, als wäre sie seine leibliche Tochter. Auch Joslyn liebte sie.
„Du gehörst genauso zu ihnen, Shea“, versicherte Kendra ihr. „Das darfst du nie vergessen.“
Sheas Laune schien auf Madison abgefärbt zu haben, immerhin waren beide zusammen auf dem Friedhof unterwegs gewesen, seit Kendra mit ihr und Hutch hier eingetroffen war. Die Kleine griff nach Kendras Hand und sah ihr fast schon betreten in die Augen. „Sind Babys besser als große Kinder?“, fragte sie völlig ernst.
„Babys sind etwas ganz Besonderes“, antwortete sie behutsam, „aber das sind die großen Kinder auch, die mal aus den Babys werden.“
Während sie redete, bewegte sich Hutch in ihr Blickfeld, dadurch fiel ihr etwas auf, als sie sah, wie er dem Wagen hinterherschaute, mit dem Slade und Joslyn zum Krankenhaus abfuhren. Aber was war das für ein Ausdruck in seinen Augen? Vielleicht Sorge? Oder Neid?
Kendra fiel ein, dass Joslyn auf der Highschool Hutchs erste große Liebe gewesen war - und umgekehrt. Fast jeder hatte damit gerechnet, dass sie spätestens
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