Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
konnten und dabei immer mit ihrer Vergangenheit und der ihrer Mitmenschen verbunden waren, stets Teil von etwas Größerem sein konnten und einen Platz hatten, an dem sie zu Hause waren.
So etwas wünschte sich Kendra für Madison, und diese Art von gesicherten, stabilen Verhältnissen wollte sie auch für sich selbst haben, denn ihre eigene Geschichte endete nicht bei ihrer überforderten Großmutter auf der baufälligen Veranda eines Trailers. Sie endete nicht dort, weil Opal sie in ihr Herz geschlossen hatte und weil Joslyn für sie zu der Schwester geworden war, die sie selbst nie gehabt hatte. Und nicht zu vergessen all die Menschen, für die Parable ihre Heimat war, und die Kendra ohne zu zögern in ihrer Mitte aufgenommen hatten.
Tränen standen ihr in den Augen.
„Was ist los?“, fragte Hutch, der ihre Tränen bemerkt und seine Hand an ihr Kinn gelegt hatte, um ihren Kopf zu sich zu drehen. Sein Tonfall war so sanft, dass ihr der Atem stockte.
„Ich musste nur gerade daran denken, wie vollkommen das Leben selbst dann ist, wenn es unvollkommen ist.“
Er grinste sie an. „Es ist die Mühe wert, nicht wahr?“ Er schwieg einen Moment lang, dann fragte er: „Hast du Lust, beim Dreibeinrennen mitzumachen? Ich könnte mir niemanden vorstellen, mit dem ich lieber am Knöchel zusammengeschnürt wäre.“
Lachend ging sie auf sein Angebot ein, dann stürzten sie beide sich in den Trubel.
Das Parable County Hospital war ein kleines Gebäude mit leuchtend weiß gestrichenen Wänden. Die meisten Angestellten waren in einem Radius von gut fünfzig Meilen um das Krankenhaus herum geboren, daher fühlten sich die Patienten hier gut aufgehoben. Den ganzen Tag waren sie von Menschen umgeben, die sie zu ihren Freunden zählten oder mit denen sie sogar verwandt waren.
Seit dem Tod seines Vaters hatte Hutch das Krankenhaus nicht mehr betreten, aber nun gab es ein Neugeborenes zu bestaunen, das die Bevölkerungszahl um einen Zähler nach oben brachte. Die Ziffern auf der Tafel am Ortseingang waren magnetisch, damit sie jederzeit angepasst werden konnten, wenn ein Kind zur Welt kam, wenn ein Einwohner verstarb oder wenn jemand aus Parable wegzog.
Slade stand neben ihm und hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. Nach den Spielen, dem Picknick und der Verleihung der Preise an die Sieger hatte er Kendra, Madison und diese verrückte Hündin an ihrem neuen Zuhause abgesetzt. Dann war er nach Hause gefahren, um zu duschen, sich zu rasieren und frische Kleidung anzuziehen, ehe er sich auf den Rückweg in die Stadt machte.
„Gut gemacht, Bruder“, sagte Hutch, ohne Slade anzusehen.
Sein Bruder lachte leise. Seit sie beide sich vor das Fenster der Säuglingsstation gestellt hatten, war es ihm nicht möglich gewesen, den Blick von dem in eine blaue Decke gewickelten Säugling abzuwenden, der in einem Plastikbett lag. „Danke“, erwiderte er, „aber Joslyn hat auch ein Lob verdient. Sie hat die härteste Arbeit erledigt.“
Hutch lächelte und nickte. Das Baby war noch keinen Tag auf der Welt und sah schon John Carmody ähnlich, was im Übrigen auch für Slade galt. Vermutlich versuchte ihr alter Herr, noch aus dem Grab heraus mit dieser Welt verbunden zu bleiben.
„Wie soll er heißen?“, wollte er wissen.
„Trace“, antwortete Slade mit einem Anflug von Ehrfurcht, als könnte er sein Glück noch immer nicht so recht fassen. „Trace Carmody Barlow.“
Auf den „Carmody“-Teil war Hutch nicht gefasst gewesen. Zwar war Slade genauso ein Carmody wie Hutch, aber ihr Dad hatte ihn nicht großgezogen und ihn auch erst als seinen Sohn anerkannt, als sein Testament verlesen wurde.
Slade deutete das Schweigen seines Bruders völlig richtig. „Es ist meine Art, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit darüber, wer Trace ist und wer ich bin.“
Hutch musste schlucken und nickte stumm. „Wie geht es Joslyn?“, brachte er mit Mühe heraus.
„Sie ist drauf und dran, den Jungen an sich zu nehmen und sich auf den Weg nach Windfall zu machen“, erklärte Slade amüsiert. „Opal und ich haben sie aber überstimmen können, indem wir darauf bestanden haben, dass sie zumindest heute Nacht im Krankenhaus bleibt, falls bei ihr oder dem Baby irgendwelche unerwarteten Komplikationen auftreten.“
Windfall war der Name der Ranch von Slade und Joslyn, die zu einer Seite an Hutchs Land grenzte. Slade hatte das Grundstück mit dem Verkauf seines Anteils an Whisper Creek an Hutch finanziert, wofür ihm Hutch für immer dankbar
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