Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
erraten hatte, so wie es nur zwischen engen Freundinnen möglich war.
Zögerlich kam Shea ein paar Schritte näher. „Könnte ich … könnte ich ihn auch mal halten?“, fragte sie.
Joslyn lächelte das Mädchen warmherzig an. „Ja, natürlich“, meinte sie. „Komm her, ich zeige dir, wie du den Kopf abstützen musst …“
Es war diese kleine Geste, die genügte, damit Shea ihren Platz in der gerade erst größer gewordenen Familie wieder einnehmen konnte, und mit einem Mal waren sie zu viert. Kendra war den Tränen so nahe, dass sie beinahe aus dem Zimmer gelaufen wäre, da sie fürchtete, sie könnte zu weinen beginnen und dann von Joslyn falsch verstanden werden. „Ich besuche dich, wenn du wieder zu Hause bist“, sagte sie zu ihrer Freundin und bemerkte dabei, dass Callie und Opal hinter ihr ins Zimmer gekommen waren.
Mit einem Mal kam ihr das Zimmer unerträglich beengt vor, so als wollte es ihr das Atmen unmöglich machen. Sie brauchte schnellstens frische Luft und den freien Himmel über sich, um wieder zur Ruhe kommen zu können. Was war denn nur los mit ihr?
„Warte“, rief Joslyn unmittelbar, bevor Kendra das Zimmer verlassen konnte. „Ich wollte dich noch etwas fragen, bevor du gehst. Etwas Wichtiges.“
Langsam kehrte sie ans Krankenbett zurück, einerseits von Hoffnung, andererseits von Skepsis erfüllt, was nun wohl kommen würde. Shea, die das Baby mustergültig in den Armen hielt, machte ihr Platz in dem kleinen, gemütlichen Kreis der Familie. Slade sah sie mit fröhlichem Funkeln in den Augen an.
Aus nächster Nähe betrachtet war Trace so wunderschön, dass er sofort einen Platz in ihrem Herzen für sich beanspruchte, den er niemals wieder hergeben würde und den sie auch gar nicht zurückhaben wollte.
„Würdest du für Trace die Patentante sein?“, fragte Joslyn leise und griff nach Kendras kühler und zitternder Hand.
Es war nur eine einfache Frage, und doch fühlte sich Kendra gerührt, weil sie so unerwartet gekommen war. „Ich würde mich geehrt fühlen“, brachte sie schließlich mit brüchiger Stimme heraus.
Joslyn drückte ihre Hand. „Das ist schön“, erklärte sie und war selbst den Tränen nahe. „Das ist wirklich schön.“
Überwältigt strich Kendra einmal über Trace‘ winzigen Kopf, dann eilte sie aus dem Krankenzimmer. Kaum war sie im Korridor, liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen, und sie flüchtete sich auf die Damentoilette, um erst einmal die Fassung zurückzuerlangen.
Über das Waschbecken gebeugt spritzte sie sich Wasser ins Gesicht, ohne sich darum zu kümmern, dass sie ihre Mascara damit vollends ruinierte. Mit einem Papierhandtuch wischte sie die schwarzen Schmierer unter ihren Augen weg, atmete tief durch und straffte die Schultern, um der Welt zu zeigen, dass sie wieder bereit war, es mit ihr aufzunehmen.
Jedenfalls mit dem größten Teil der Welt.
Im Parterre saß Madison an der Empfangstheke, malte etwas auf einem Blatt Papier und genoss es, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen.
Kendra reagierte irritiert, als ihr klar wurde, dass Hutch auch noch da war und sich angeregt mit der Empfangsdame namens Darcy unterhielt - einem Mädchen um die zwanzig, das ihm fasziniert an den Lippen hing und jedes seiner Worte förmlich aufzusaugen schien.
Am liebsten hätte sie sofort wieder kehrtgemacht. Sie wusste, Madison würde nicht auf ihre etwas verquollenen Augen achten, doch Hutch würden sie sofort auffallen. Zu spät. Er hatte sie gesehen und schaute sie fragend an. Ganz sicher würde er sie darauf ansprechen.
Vielleicht würde er sogar folgern, dass sie sich nicht nur maßlos für Slade und Joslyn freute, sondern dass sie sich momentan auch mit einem unerklärlichen Gefühl der Hoffnungslosigkeit herumplagte, was sie für seinen Cowboy-Charme einfach viel zu empfänglich machte.
„Vielleicht sollte ich dich und Madison in meinem Truck nach Hause fahren“, schlug er vor, während er sich von der Empfangstheke abstieß und auf sie zukam. „Einer von meinen Ranchhelfern kann dann deinen Wagen abholen und zu dir bringen.“
Hutchs Aufmerksamkeit war mit einem Mal voll und ganz auf Kendra gerichtet, was die Empfangsdame nicht bloß ärgerte, sondern sie am Boden zerstört zurückließ, als hätte die Sonne soeben für immer aufgehört zu scheinen.
„Mommy weint immer, wenn sie sich freut“, verkündete Madison. „Das hat sie mir gesagt, als wir nach Three Trees gefahren sind, um mein Bett zu kaufen.“
Hutch verzog
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