Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Berg des Lichts

Der Berg des Lichts

Titel: Der Berg des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
breiteten große, steinerne Schmetterlinge ihre Flügel aus. Die Schmetterlinge waren mit bunten Mosaiken verziert, über und über, und in den kantigen Säulen sah Luxon wieder einmal die Runen, die ihn an seine Erlebnisse im Dienst der Alptraumritter erinnerten – und an seinen schlichten Runenring.
    Er deutete auf eine Treppe, die zwischen einer Vielzahl von Statuen in vielen Windungen abwärts und nach links führte und sich irgendwo in dem Gewirr der Quadermauern, Dächer und Gewölben verlor.
    »Die Treppe der Verzweifelten«, sagte Dani schaudernd. »Ihr werdet sehen und erleben, warum sie diesen Namen trägt.«
    »Wir sollten eilen«, unterbrach Warden. »Ein langer Weg liegt noch vor uns.«
    Sie schöpften einige Handvoll Wasser aus dem Brunnen, tranken und kühlten ihre brennenden Gesichter, dann liefen sie die Stufen der schier endlosen Treppe hinunter. Das erste Paar Statuen schob sich heran. Es waren seltsame, lebensechte Gestalten von Menschen, die unter Schmerzen litten und unnennbaren Qualen.
    Ihre Körper wanden sich, ihre Gesichter waren schmerzverzerrt, aus den aufgerissenen Mündern und den hervorquellenden Augen sprachen Wahnsinn und letzte Verzweiflung.
    Die steinernen Gestalten begannen zu leben, als sich die Fremden näherten. Zuerst zitterten sie, dann, als die Sohlen der Stiefel Stufe um Stufe berührten, wanden sie sich und stießen leise, aber erschreckende Schreie aus.
    Kaum hatten Dani und Luxon die Linie überschritten, die sich unsichtbar zwischen einem Paar der Statuen spannte, packte ein seltsames, magisches Leben die steinernen Gestalten. Sie bewegten sich, stierten aus blicklosen Augen die Fremden an, schlossen und öffneten die Münder, und ihre steinernen Kehlen formten unverständliche Laute.
    »Geht schnell vorbei!« drängte Dani und klammerte sich an Luxons Arm fest. »Es ist schrecklich!«
    Zuerst blieben die Fremden stehen. Dann übertrug sich mehr und mehr vom Grauen auf sie, und sie blickten von links nach rechts, um den Blicken der Geschundenen zu entgehen. Aber da heftete schon die gegenüberstehende Statue ihre tränenden Augen auf sie, und das nächste Paar der Gestalten wandte ihnen die Köpfe entgegen.
    Kukuar rief unterdrückt:
    »Wenn wir nicht stehenbleiben, packt uns der Wahnsinn.«
    »Laßt es euch nicht anmerken«, warnte Yzinda. »Sie sehen uns an. Sie merken, daß wir wirklich Fremde sind.«
    Jetzt wurde der Drang, in panischer Flucht die Stufen abwärts zu rennen und zu springen, übermächtig. Sie zwangen sich, langsamer zu bleiben und versuchten mit aller Macht, geradeaus zu blicken. Dennoch wurden sie von dem vielstimmigen Chor des Stöhnens und Keuchens abgelenkt. Hinter ihnen wurden die Laute der Qualen leiser, vor ihnen entstanden Bewegungen und wurden ächzende Schreie lauter und eindringlicher.
    »Vor den Statuen fürchte ich mich nicht«, murmelte Luxon. »Ich warte nur darauf, daß uns die Magier und Duinen und Krieger als Fremde ansehen.«
    » Ich fürchte mich vor der Treppe der Verzweifelten«, bekannte Yzinda. »Nun erinnere ich mich wieder. Auch damals schon fühlte ich nichts als Angst…«
    Hundert Stufen, zweihundert, dreimal hundert. Immer neue Paarungen der Geschundenen tauchten auf. Das Stöhnen, Wimmern und Jammern riß nicht ab. Die Laute senkten sich in die Gefühle und die Gedanken der Fremden und erzeugten nichts anderes als Abwehr und Abscheu vor dieser Welt der Magier. »Endet diese Treppe denn niemals?« stöhnte Hasank nach einer Weile.
    Die Tortur dauerte an. So sehr sich die Fremden auch gegen die Eindrücke der Schmerzen und des unversöhnlichen Hasses stemmten, den die zitternden Statuen ausströmten, es half nichts. Auch sie fingen zu zittern an und begannen, seltsame Dinge zu fühlen. Ihr Geist verwirrte sich; sie sahen die Stufen nicht mehr, die Gesichter und Köpfe der steinernen Gestalten wuchsen ins Riesengroße. Luxon stöhnte auf und ächzte:
    »Seht nicht hin! Blickt auf die Neue Flamme!«
    Die Flamme war längst hinter hochragenden, kantigen Türmen, Zinnen und Mauern verschwunden. Die Treppe führte entlang der Krümmung des Kraters auf einen Platz zu, der immer wieder hinter Säulen und Dächern auftauchte. Je tiefer die Fremden auf dieser Treppe von Stufe zu Stufe stiegen, desto mehr ließ die Helligkeit nach.
    »Hört nicht hin!«
    Bisher war es ihnen offenbar gelungen, unbeobachtet zu bleiben. Sie passierten die letzten vier Paare der sich windenden Statuen. Von beiden Seiten griffen Schmerz und Wahnsinn

Weitere Kostenlose Bücher