Der Bernstein-Mensch
bereit. Nein, bevor sie hineinging, wollte sie noch einmal einen Blick auf den gigantischen Planeten werfen. Sie verfluchte Bradley, der sie in ihrem Frieden gestört hatte. Sie war unruhig, und ihre Kehle brannte; in drei Tagen erwartete sie ihre Periode. Einem Impuls folgend, stieß sie sich sanft nach oben und schwebte plötzlich frei über der Bay. Der Rote Reck hing jetzt größer vor ihr, wie eine offene Wunde, bevor sich eine Kruste gebildet hatte. Bei dem Anblick fühlte sie sich sogleich besser. Sie war wieder frei. Sie zog die Knie an, soweit ihr Anzug das gestattete, und vollführte eine Rolle im Raum. Sie lachte laut. Und Bradley? Sie hörte, wie er jammerte. Was konnte sie tun, um ihn aufzumuntern? Die Möglichkeiten waren grenzenlos. Sie könnte ein Liedchen singen oder eine kleine Steptanzvorstellung bei null g geben. Vielleicht sollte sie ihm auch einfach eine lange Nase drehen und dann einen Überschlag machen. Oder sie könnte …
Etwas zerrte an ihr und gab dann nach.
Sie glitt nach links weg. Ein leichter Stoß hatte …
Der Luftschlauch. Jetzt begriff sie: Er war gerissen.
Das bedeutete – schlicht und einfach –, daß sie tot war.
In ihren Ohren knackte es. Automatisch griff sie hinter sich und erwischte den wild hin und her wedelnden Schlauch. Sie packte ihn mit einer Hand und drückte ihn zusammen. Sie versuchte einzuatmen. Nichts. Ihre Lungen wollten sich nicht füllen.
Sie berührte den Auslöser der Positionsdüsen, visierte Bay Sechs an und gab Feuer. Schnell, zu schnell, kam das Orb heraufgeschwommen. Sie begann, sich zur Landung zu drehen, und versuchte, mit einer Hand zu manövrieren, während sie mit der anderen den Schlauch umklammert hielt. Ich bin tot, erinnerte sie sich plötzlich. Beim Landen stieß sie heftig mit einem Fuß auf die Deckplatten. Ein zuckender Schmerz brannte sich in ihr Bein. Sie wirbelte davon, am Stoßfänger der Fähre vorüber, und prallte gegen die andere Seite der Bay. Ein brüllendes Rauschen strömte durch ihren Kopf. Bin ich jetzt tot? fragte sie sich.
Wo war die Sauerstoffflasche ihres Anzugs? Sie hatte vergessen, sie in die Deckshalterung zu klemmen, und jetzt, da sie verzweifelt suchend umherschaute, war sie nirgends zu sehen.
Bradley brüllte unzusammenhängend in ihren tauben Ohren. Wenn sie ihn hören könnte, mußte das wohl bedeuten, daß sie doch noch nicht tot war. Er würde alles auf dem Video mitansehen. So war sie tatsächlich noch dazu gekommen, ihre Vorstellung zu geben: der abgetrennte Schlauch, der wild umherschlug und sich um sich selbst schlang, das Mädchen, das hilflos durch die Bay flog …
Die Sauerstoffflasche war fort. Krampfhaft bemühte sie sich, klar zu denken. Es blieb ihr nur der Schlauch. Sie konnte das Ende nicht erwischen; der Schlauch peitschte umher wie eine wütende Schlange. Sie suchte nach dem Schneidelaser. Er hing in seiner Halterung an der anderen Seite der Bay. Sie stieß sich ab und rollte herum, um den Aufprall mit dem Rücken aufzufangen. Der Laser war ein kleines Präzisionsinstrument, das sie mit einer Hand bedienen konnte. Sie riß ihn aus der Aufhängung und machte ihn betriebsbereit. Ihre Ohren pochten schmerzhaft. Sie stöhnte leise.
Jetzt der Schlauch. Wieder stieß sie sich ab und trieb träge zur Anschlußstelle des Luftschlauches, wo dieser mit dem Orb verbunden war. Der Schlauch schlug und schnappte. Sie achtete nicht darauf. Das Stampfen in ihren Ohren toste wie riesige Wogen in einem Sturm. In ihrer Brust brannte es. Die Welt bewegte sich in warmer, fauler Gemächlichkeit. Es war Zeit genug für alles – für ihre Aufgabe, für einen Blick auf die tanzenden, rosafarbenen Bänder des Jupiter und für mehr.
Unter Aufbietung ihres ganzen Willens ergriff sie den Schlauch,
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