Der Bernstein-Mensch
Katze. „Man sagt, du seist beinahe gestorben.“
„Ein Unfall.“ Sie zuckte die Achseln.
„Aber einige sagen mir, der Schlauch sei absichtlich durchtrennt worden.“
„Wunschdenken vielleicht. Warum sollte das jemand tun?“
„Sie mögen dich nicht, Mara. Die Enge des Orb läßt viel Feindseligkeit entstehen. Du bist zu gut für sie.“
„Könnte sein.“ Sie lächelte nicht.
„Ist dir die Identität der betreffenden Person bekannt?“
„Nicht genau. Ich habe sie auf fünfhundert Möglichkeiten einschränken können. Bradley sagt, er war’s nicht. Ich weiß, daß ich es nicht war und daß du es auch nicht warst. Ich nehme an, es war einer der anderen.“
„Wir müssen diesen einen entlarven und …“
„Verflucht noch mal!“ Das war Rawlins. Offensichtlich hatte er, nachdem Vance seine banale Idee vorgetragen hatte, selber eine gehabt. „Wenn Sie das hier nicht interessiert, Mara, wieso gehen Sie dann nicht hinaus und lassen die andern ungestört reden?“
Sie drehte sich langsam um und sah ihm ins Gesicht. „Ich habe Vances Idee bereits analysiert. Er will das Signal als codiertes ökologisches Schema interpretieren, das auf den verschiedenen Schichten in der Atmosphäre eines Planeten vom Jupiter-Typ basiert. Okay, vielleicht sind Amoniak-Strömungsraten alles, was diese Dinge kennen. Aber Vance hat versucht, ein Körnchen Wahrheit in eine Art intellektuellen Puffreis zu werfen. Es wird nicht funktionieren. Ich weiß es. Ich habe es schon probiert.“
„Mara“, sagte Bradley, „zumindest könntest du ihn aber …“
„Er kann seine eigene Zeit verplempern, aber nicht meine.“
„Dann scher dich hier raus.“ Bradleys Stimme war bissig.
„Ich werde nicht …“
„Mara“, sagte er leise, „das ist mein Ernst.“
Sie warf einen Blick auf Corey. Ein Licht an der Seite des Kastens tanzte kurz in einem roten Muster: ihr Privatcode. Ohne sich noch einmal umzusehen, drehte sie sich um und ging durch die Tür. Der Kasten rollte hinter ihr her.
„Idioten“, sagte sie, als sie im Gang waren. „Gottverdammte Schwachköpfe.“
„Bradley war sehr zornig.“
„Oder er wollte, daß es so aussah. Er ist ein ziemlich guter Politiker, wenn er daran denkt.“
„Ich dachte, er sei über solche irdischen Dinge hinaus. Er scheint ein sehr mystischer, tiefreligiöser Mann zu sein.“
Mit singender Stimme und in einer recht guten Parodie auf Bradley sagte Mara: „Wenn man ohne zu lachen darüber nachdenken kann, wird die Frage der Existenz zu einer sehr realen.“
Corey machte ein Geräusch, das wie Lachen klang, ein trockenes, bellendes Raspeln.
„Das kannst du auch immer besser“, sagte Mara.
„Ja, die Oszillation des Verbal-Outputs besitzt in neuraler Hinsicht eine recht angenehme Wirkung. Sie wirkt befreiend.“
„Dann hast du’s. Komm, wir gehen in dein Zimmer und spielen Schach. Ich habe Langeweile.“
„Du wirst mich schlagen.“
„Diesmal vielleicht nicht“, erwiderte sie.
Ich lasse sie Corey zu mir sagen, aber ich verrate ihnen nicht, ob ich Mann oder Frau bin. Mara allein weiß das, aber sie hat geschworen, niemals darüber zu sprechen. Ich ziehe meinen Königsspringer vor, lasse ihn schrankenlos durch den Raum springen und schlage ihren Bauern. Leicht und luftig senke ich mich auf das Feld herab. Ein Wettstreit unbestechlicher Geometrie, ein euklidischer Genuß. Er läßt alle anderen Erinnerungen versinken. Meine erste Erinnerung, nachdem ich in diesem Kasten zur Welt kam, war das leise Wimmern einer weinenden Frau. „Mein Gott, mein Gott, was, was …?“ Ich verstand sofort – das heißt, ich verstand die Worte –, aber ihre volle Bedeutung habe ich nie erfaßt. Wir setzen mit einer zeitlichen Begrenzung von zehn Sekunden, aber Mara braucht weniger als
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