Der Bernstein-Mensch
Turbulenzen wirbeln um mich herum, und die Mach-Zahlen steigen und fallen stochastisch. Alles ist so, wie die Stimulationen sagten. Ich fühle mich behaglich, die Wärme umhüllt mich, und ich warte. Die Konzentration des Ammoniumhydrosulphids wird geringer, und meine feuchten Perzeptoren finden immer mehr Wassereis in den wirbelnden Wolken.
Infrarot-Radar ertastet die zusammengedrückten Atmosphäreschichten unter mir und bringt seltsam fleckige Resonanzen. Sie erscheinen wie Lichtfünkchen, die sich vergrößern, diffus werden und dann ihre alte Gestalt wieder annehmen. In der Heliumwasserstoff-Atmosphäre kommen die fernen, an der Unterseite purpurroten Wolkenbänke klar und deutlich an.
Corey läßt sich fallen. Der Fusionsreaktor verstummt, der Ballon über mir kühlt sich ab und ich schwebe stetig abwärts. Ich gleite an den Hängen der Jupiterwinde hinab. Die Kapsel wiegt sich sanft wie ein Baby in dieser Mutter aller Planeten. Meine Instrumente schieben sich hinaus in den heulenden Wirbel: sie sondieren und messen und lassen Ströme von rohen Daten zum Orb zurückfließen, als sei ich ein riesiges Herz, das eine Botschaft durch einen aufgedunsenen Körper pumpt.
Der Wassergehalt ringsumher steigt. (Er) (es) spürt einen hartnäckigen Druck von unten, und es wird wärmer. Das Wasser wird immer reichlicher. Ich kann die Luft kauen. Die Sonne ist hier trüb, und ich sehe infrarot; gelegentlich blendet mich ein kurzer, gabelförmiger Blitz. Das Orb sagt, daß die Stürme nicht nachlassen, und ich registriere magnetische Turbulenzen auf vielen Wellenbereichen. Ammoniakschnee sinkt auf mich herab und verdunstet zischend. Wenn ich meine Sensoren nicht hätte, gäbe es kein Oben, kein Unten. Ich bin in der Schwebe. Stürme wehen mich mit stetigen dreihundert Kilometern in der Stunde nach Westen.
Zuerst fühle ich das Pulsieren auf Kanal 107. Ein dichtes Infraschall-Rollen durchläuft mich. Es steigt an, verharrt, senkt sich wieder, und dann piepst es, verzerrt sich und entgleitet. Ich lasse es noch einmal abspielen und durchlöchere es mit meinen Analysen. Die Fourier-Transformation zeigt eine Glätte, die mein Ohr nicht wahrgenommen hat. Frequenzen verschmelzen miteinander. Harmonien sammeln sich, bilden Kaskaden und verschwimmen zu einer aufsteigenden Rhapsodie. Eine Coda gibt es nicht; das Ganze endet abrupt.
Ich werfe eine Robotsonde ab. Sie trudelt hinunter in die dichten, brodelnden Winde. Im Fallen treibt sie seitwärts ab, und so ergibt sich eine gute Winkeldistanz zu mir. Mit zwei Mikrophonen messe ich schnell die Phasenverschiebung und finde die Quelle – sie liegt etwa zwanzig Kilometer unter mir. Es ist heiß dort, aber vielleicht kann ich die Zone erreichen.
Corey drosselt das Schnurren seiner Fusionsmaschine. Er läßt ein wenig heißes Wasserstoffgas aus dem Ballon entweichen und die Gondel beginnt zu sinken. Er lauscht und überlegt. Das Orb verlangt ärgerlich nach Details, und Corey speit geschwind Ströme von Daten zurück.
Das hohe Rollen kommt wieder. Corey verhält sich ganz still und läßt die Klänge durch sich hindurchrieseln.
Ein Windstoß drängt Corey seitwärts, und die Gondel zerrt wild an den vibrierenden Kabeln. Ich zünde die Rückwärtsdüsen und gleiche die Turbulenz aus.
Gewandt tanze ich. Schlank, graziös und jung gleite ich.
Als die Störung überwunden ist, richtet sich Coreys Aufmerksamkeit wieder auf das rollende Geräusch. Es kommt wieder, stärker jetzt als zuvor. Aber vermischt mit diesem akustischen Vibrieren bemerkt Corey ein neues Phänomen: Das ungeordnete Rumpeln der Magnetströmung rings um die Gondel erscheint
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