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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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beweisen, dass sie sich irrte, würde Zeit kosten, die er nicht verschwenden wollte. Wieder wechselte er die Richtung. Vielleicht konnte er Lucy Holly ja etwas entlocken, ohne dass sie es merkte.
    »Hat Ihr Mann Ihnen das von neulich Abend erzählt? Als wir das Pferd angefahren haben?«
    »Ja.«
    »Er wollte es nicht anfassen.«
    »Jonas mag Pferde nicht.«
    »Nicht mehr «, stimmte Marvel zu.
    Er griff in die Innentasche und reichte ihr das Foto.
    »Was ist das?«, fragte sie, doch er dachte, das würde er sie selbst herausfinden lassen.
    Das tat sie auch, doch es dauerte länger, als er gebraucht hatte. Er sah den exakten Moment, als sie ihren künftigen
Ehemann erkannte  – das winzige Atemholen, und wie sie den Kopf senkte, um näher an das Foto heranzukommen.
    »Jonas«, sagte sie.
    »Und Danny Marsh.«
    Sie schwieg mit gesenktem Kopf.
    »Damals scheint er Pferde ja sehr gerngehabt zu haben, nicht wahr?«
    Nichts.
    »Wissen Sie, was sich da geändert hat?«
    Sie schüttelte den Kopf, unfähig, den Blick von dem Foto loszureißen.
    »Ich denke, das geht auf die Nacht zurück, als der Stall abgebrannt ist. Jemand, den sie kannten, ist umgekommen. Alle Pferde sind draufgegangen. Muss für ein Kind ja traumatisch sein.«
    Lucy nickte schweigend.
    »Vielleicht hatte er ja sogar ein schlechtes Gewissen«, regte er behutsam an. »Vielleicht hat Danny den Stall niedergebrannt, und Jonas wusste davon.«
    »Vielleicht«, sagte sie zu seiner großen Überraschung. Das Foto schien Lucy Holly jeglichen Kampfgeist ausgetrieben zu haben, alle Gegenwehr und allen Trotz.
    »Was hat er denn darüber gesagt?« Einen Versuch war es wert  – sie dazu zu verleiten, irgendetwas Unüberlegtes zu sagen, indem er so tat, als sei seine Theorie bereits eine anerkannte Tatsache.
    »Er hat mir nie davon erzählt. Ich wusste nichts hiervon.«
    Ihre Stimme klang leblos. Unwillkürlich war Marvel ein wenig betroffen über die radikale Veränderung in Lucy Holly. Ihr temperamentvoller Lebensmut hatte echt gewirkt, jetzt jedoch sah er, dass es lediglich eine Seifenblase gewesen war, die, einmal geplatzt, so vollständig verschwunden war, dass er nicht einmal mehr sehen konnte, wo sie vorher gewesen war.
    Er stand auf und fühlte sich seltsam schuldig dafür, dass er ihr etwas angetan hatte, was vielleicht irreparabel war.

    »Ich habe noch nie ein Kinderfoto von ihm gesehen«, sagte sie und sah ihn immer noch nicht an.
    »Wieso denn das?« Marvel war verblüfft. Sogar in seinen versauten Beziehungen hatte er die »Mutter mit Fotoalbum«-Nummer als einen frühen Schritt des Balztanzes in Erinnerung.
    »Ich weiß es nicht. Kann ich das behalten?«
    »Ich fürchte, ich brauche es noch.«
    Doch sie hielt das Bild mit Händen fest, die ein ganz klein wenig zitterten.
    Unentschlossen stand Marvel da. Lucy Holly starrte das Foto auf ihrem ausgemergelten Schoß an, als wäre er bereits fort.
     
    Jonas sah so glücklich aus!
    Das war Lucys überwältigender erster Eindruck. Fast hätte sie ihn deswegen nicht erkannt. Seine Stirn, seine Nase, seine Lippen  – alles war jünger, aber definitiv eine Version des Jonas, in den sie sich verliebt hatte. Seine Augen jedoch… seine Augen waren vollkommen anders. Über die Jahre hinweg grinste der zehnjährige Jonas Holly sie an  – ohne Scheu, ohne Wachsamkeit.
    Ohne Furcht.
    Das war alles, was ihr einfiel.
    Ihm ist noch nichts Schlimmes passiert.
    Sie hatte Jonas nie als furchtsam betrachtet, bis sie dieses Bild gesehen hatte. Vielleicht hätte sie es getan, wenn sie andere Fotos gesehen hätte, doch es gab keine. Keine Erinnerungen für sie daran, wie er als Kind gewesen war.
    Das Foto war ein Zeittunnel. Danny war größer und kräftiger als der Freund, der ihn schließlich überragen würde, und die beiden hielten zwei stolze kleine Ponys, die ohne Zweifel längst tot waren. Lucy konnte sehen, dass dieser Schnappschuss das ganze Leben der Jungen in diesem einen Augenblick festhielt, aus der Vergangenheit geholt und
ihr jetzt vorgelegt: Sie waren auf einem Sommerturnier, sie hatten gewonnen, sie waren glücklich. Das war alles, was aus ihren Gesichtern leuchtete.
    »Wie konnten Sie das tun?«, fragte sie.
    »Hmm?« Marvel beugte sich vor, um besser zu verstehen.
    »Wie konnten Sie ihm das antun?«
    »Ich habe ihm doch gar nichts angetan.«
    »Schauen Sie ihn an«, sagte sie, und ihre Stimme wurde allmählich wieder kraftvoller.
    Lucy drehte das Bild um, so dass Marvel es sehen konnte, und er

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