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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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Anhänger, oder er glotzte in einem Stall statisches Rauschen. Die Leute erzählten ihm alles und nichts. Jeder kannte jeden  – nur dass niemand den Mörder kannte. Beweise waren eben noch da und dann plötzlich weg. Tatverdächtige fielen ihm in den Schoß und schlüpften ihm dann durch die Finger. Handyverbindungen kamen zustande und brachen gleich wieder zusammen  – und die
Kälte, der Regen, der Schnee waren aktive, boshafte Teilnehmer bei dieser gerissenen Täuschung.
    Jeden Morgen stand er auf, fuhr den Hügel hinunter ins Dorf und war irgendwie überrascht, dass es noch da war. Jeder Tag brachte mehr Geheimniskrämerei und Missverständnisse, und nur seine mittlerweile allabendlichen Sitzungen mit Joy Springer schienen ihn in Raum und Zeit zu verankern.
    Er riss Reynolds die beiden Zettel weg, und als Pollard die Hand danach ausstreckte, achtete er nicht darauf, sondern pfefferte sie wieder in den zerschrammten Aktenschrank, auf dem höchst euphemistisch »Beweismaterial« stand.
     
    Jonas kam nach Hause und stellte fest, dass Lucy sich in einen anderen Menschen verwandelt hatte, der Lucys Lächeln und Lucys Augen trug wie eine dürftige Kopie des Originals.
    »Was ist denn?«, fragte er sie im Bett.
    »Nichts«, antwortete sie. »Ich liebe dich.«
    Er wollte ihr sagen, sie solle nicht das Thema wechseln, brachte es jedoch nicht über sich. Nicht einmal in jenem kleinen, steinharten Winkel seines Herzens, wo er alles aufbewahrte, was nicht freundlich, rücksichtsvoll und selbstlos war.
    »Ich dich auch«, antwortete er traurig.
     
    Jonas hielt sich für stark, doch der Killer wusste, dass er so schwach war wie ein Kätzchen.
    Du darfst jetzt nicht schlappmachen.
    Aber Jonas machte schlapp.
    Er verließ jeden Morgen das Haus, und an manchen Abenden auch, um im Namen des Schützens sein zerbrechliches Ego zu befriedigen  – und ließ die ganze Zeit den wichtigsten Menschen auf der Welt allein und in Gefahr zurück. Er schien keine Ahnung zu haben, wie er seinen Job machen sollte. Keine Ahnung, wen er wirklich beschützen sollte …

    Der Killer schauderte bei diesem Gedanken.
    Dieses Schaudern ließ ihn konzentriert bleiben  – den Preis fest im Blick.
    Der Killer fand Lucy Holy vielversprechend.
    Er liebte sie, auf seine Weise.
    Doch das hieß nicht, dass er sie nicht töten würde, wenn er auch nur ansatzweise die Möglichkeit dazu hatte.

2 Tage
    Sobald Jonas am nächsten Morgen mit dem Land Rover wegfuhr, besorgte Lucy sich von der Polizeidienststelle in Taunton die Nummer der mobilen Einsatzzentrale und rief dann dort an. Als sich ein Mann meldete, sagte sie, sie wolle formal Beschwerde gegen DCI Marvel erheben.
    Am anderen Ende der Leitung herrschte bedeutungsschweres Schweigen, und Lucy machte sich auf eine feindselige Frage nach ihrer Adresse gefasst, damit man ihr das passende Formular zusenden könnte. Sie war darauf eingestellt, Einspruch zu erheben; sie wollte kein passendes Formular, sie wollte Marvel in der Scheiße sitzen sehen, bis Oberkante Unterlippe seines gemeinen, dreckigen Schandmauls.
    Anstatt auf kalt und offiziell zu machen, begann der Polizist  – der sich als DS Reynolds vorstellte  –, ihr durchaus sachliche Fragen zu stellen, die es ihr erlaubten, ihrem Ärger auf ungemein befriedigende Art und Weise Luft zu machen. Sie schilderte Reynolds, wie Marvel sie beinahe überfahren hätte, sie erzählte, wie er ihr das Foto von Jonas weggerissen hatte, sie holte tief Luft und berichtete ihm, dass Marvel »Sie können mich mal« zu ihr gesagt und sie beschimpft hatte.
    »Was hat er gesagt?«, wollte Reynolds wissen.
    »Etwas ganz Schreckliches«, antwortete Lucy.
    »Ich schreibe mir das alles auf«, sagte Reynolds. »Es wäre hilfreich, wenn Sie genaue Angaben machen könnten.«
    Eine Pause entstand. »Er hat mich einen vergrätzten Krüppel genannt.«
    Wieder ein langes Schweigen, in dem die Worte sich dehnten und es ausfüllten.

    »Sind Sie denn behindert, Mrs. Holly?«, erkundigte Reynolds sich behutsam.
    »Ich habe MS«, erklärte sie, und unerwartet war sie den Tränen nahe. »Ich gehe an Krücken.«
    »Das tut mir sehr leid, Mrs. Holly«, sagte DS Reynolds. Und Lucy hörte voller Staunen, dass es so klang, als täte es ihm wirklich leid  – nicht so, als gäbe er lediglich eine vorgeschriebene Antwort.
    Das gestattete ihr, sich zu sammeln und das anzubringen, was sie als ihr Glanzstück betrachtete. Sie sagte ihm, dass Marvel die ganze Zeit eine Alkoholfahne

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