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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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vor ihm aufgetaucht war. Er dachte an Debbie und ihre Lavalampen und dieses Scheißsofa. Daran, wie er die Füße mit Schuhen daraufgelegt hatte, obwohl sie das wahnsinnig machte. Manchmal auch weil es sie wahnsinnig machte. Was für ein Scheißkerl war er eigentlich?
    Ganz im Ernst.
    Was für ein Scheißkerl?
    Ein lauter Knall neben seinem rechten Ohr ließ ihn erschrocken zusammenfahren, und er blinzelte zu der Frau empor, die zu zerquetschen er gerade eben vermieden hatte. Er wollte sie dafür umarmen und küssen, dass sie nicht tot war, wollte vor Dankbarkeit heulen und Mönch werden und sein Leben anderen widmen, als Strafe für jedes Unrecht, das er jemals jemand anderem zugefügt hatte.
    Sie dagegen sah nicht dankbar aus. Sie sah so wütend aus, dass er fast Angst hatte, das Fenster herunterzulassen. Was eindeutig dämlich war, also tat er es.
    »Sind Sie Marvel?«, fragte sie entschlossen. Und als er nickte, verkündete sie: »Ich will mit Ihnen reden.«
     
    »Warum sind Sie so gemein zu Jonas ?«
    Was für eine blöde Frage an einen Erwachsenen! Marvel hätte gelacht, nur hatte die Frau  – die, wie ihm jetzt klar war, Jonas Hollys Ehefrau sein musste  – auf dem Weg von der Straße in das gemütliche Wohnzimmer, wo sie jetzt standen, nichts von ihrem Zorn eingebüßt.
    Beeindruckt von ihrer Gewandtheit und ihrer Kraft trotz der Krücken war er ihr ins Haus gefolgt. Drei Steinstufen hinauf, durch das Holztor, über den unebenen Pfad aus Schieferplatten und durch die Haustür. All das bewältigte sie mit
so entschlossener Energie, dass er nicht wagte, ihr seine Hilfe anzubieten.
    Sie lehnte ihre Krücken an den Kamin, wo ein Feuer vorbereitet, aber nicht angezündet worden war, und ließ sich auf dem Sofa nieder. Von dort aus betrachtete sie ihn kalt und erwartete anscheinend immer noch eine Antwort.
    »Bin ich doch gar nicht«, sagte er und gab sich vergeblich Mühe, sich dabei nicht wie ein ungezogener Schuljunge vorzukommen.
    Sie erwiderte nichts, saß einfach nur da und blickte zu ihm empor. Irgendwie gereichte es ihm zum Nachteil, dass sie jetzt saß, während er immer noch stand. Das freudige Gefühl, das sich eingestellt hatte, weil er sie nicht mit einem gewaltigen »Am Morgen danach«-Kater überfahren hatte, war überraschend schnell verflogen, und ein besserer Mensch zu sein erschien jetzt genauso albern wie der Kindertraum, sich seinen Lebensunterhalt mit Delfinreiten zu verdienen.
    Jetzt hatte er mehrere Optionen.
    Er konnte gehen. Er konnte sich einfach umdrehen und gehen. Das hatte er bei Debbie ständig gemacht. Jedes Mal, wenn sie reden oder streiten wollte, hatte er das Zimmer verlassen. Manchmal war sie ihm nachgekommen und hatte gejammert oder geschrien. Oder sie hatte ein Kissen nach ihm geworfen. Ein Retro- Kissen. Was aber konnte Jonas Hollys sehr viel hübschere Frau tun? Ihn mit einer Krücke niederstrecken?
    Doch er ging nicht. »Ich versuche, einen Mörder zu schnappen. Das ist meine Priorität, und nicht, die Leute hier glücklich zu machen.«
    »Ich finde, es ist ein ziemlicher Unterschied, ob man jemanden glücklich macht oder ob man behauptet, dass er mitschuldig an einem Mord ist, Sie etwa nicht?«
    Also hatte Jonas ihr alles erzählt. Sich wahrscheinlich bei ihr ausgeheult.
    Nun, sie konnten ihn alle beide mal.

    Fast hätte er das zu ihr gesagt  – Ihr könnt mich mal, alle beide!   –, dann fielen ihm die Krücken wieder ein. Und wie sie auf die Straße hinausgekommen war, zweifellos, um ihn anzuhalten  – wenn er nicht bereits auf Kollisionskurs mit einer Hecke und einem Graben und einem Lenkrad gewesen wäre. Marvel betastete seine Stirn und fühlte dort eine kleine Beule, aber kein Blut.
    Also wollte er sie nicht einfach abblitzen lassen. Wegen der Krücken. Das war nicht politisch korrekt. Vor zwei Jahren hatte er in stummem Groll eine vorgeschriebene Fortbildung über politische Korrektheit über sich ergehen lassen, doch irgendetwas musste hängen geblieben sein, denn anstatt hinauszumarschieren, deutete Marvel auf den Sessel, der nicht zum Sofa passte.
    »Darf ich mich setzen?«
    Sie zögerte und nickte dann knapp.
    Er setzte sich. Als er dieses Manöver beendet hatte, war er zu dem Entschluss gekommen, Klartext mit ihr zu reden. Wenn ihr Mann einen Mörder gedeckt hatte, dann würde sie es früher oder später herausfinden. Davor konnten ihre Krücken sie nicht schützen. Und vielleicht hatte Jonas Lucy ja Dinge anvertraut, die er ihm nicht erzählt

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