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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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ihn.
    »Ist ja gut«, sagte sie. »Es ist okay. Jonas hat einfach die Nerven verloren, Schatz. Er hat’s nicht so gemeint. Er war einfach völlig fertig mit den Nerven und hatte Angst.«
    Doch Steven reagierte nicht auf ihre Berührung, er schien sie nicht einmal zu sehen. Sein Blick war noch immer in unbestimmte Ferne gerichtet, eine tiefe Furche spaltete seine Stirn. Lucy fühlte, wie etwas Flüssiges ihre Knie durchtränkte. Sie blickte zu Boden und sah, dass es das Blumenwasser war. Er saß mitten darin.
    »Steven«, sagte sie. »Was ist denn los?«
    Er antwortete nicht, und Lucy begann, sich wegen etwas anderem als ihr und Jonas ernsthafte Sorgen zu machen. Sie schüttelte ihn an den Schultern und sah, wie er blinzelte, also tat sie es noch einmal und hob die Stimme, machte sie streng  – ihre Spielplatzstimme.
    »Steven! Sag doch was, bitte! Was ist passiert? Was hast du denn?«
    Endlich sah der Junge sie mit zutiefst verängstigten Augen an.
    Seine Lippen zitterten, als er flüsterte: »Gar nichts.«
     
    Reynolds breitete seine Klage auf dem billigen braunen Bettüberwurf aus.
    Er hatte fast alles, was er brauchte.
    Er konnte es kaum erwarten, dass dieser Fall hier offiziell abgeschlossen war, damit er mit seinem Belastungsmaterial zum Chief Superintendent gehen konnte. Der Gedanke daran, wie dieses Gespräch ablaufen würde, erregte Reynolds wie Pornografie.
    »Sir, könnte ich Sie wohl kurz in einer etwas heiklen Angelegenheit sprechen?«

    Ihm war klar, dass vielleicht nicht gerade eine Beförderung dabei heraussprang, wenn man seinen Boss anschwärzte, doch er war sich sicher, dass ihm daraus schon irgendwelche Vorteile entstehen würden.
    Er freute sich mit blanker Lust darauf, Lucy Hollys Aussage aufzunehmen. Endlich kritische Worte aus einem anderen Mund als dem seinen zu hören. Im Beisein von Kollegen war er immer sehr diskret gewesen, doch jedes Augenverdrehen, jeder Hauch von Unzufriedenheit, jedes plötzliche Verstummen einer Plauderei, wenn Marvel vorbeiging, hatte er gehortet wie Winternüsse, damit sie ihm Kraft gaben, wenn er das Gefühl hatte, er sei ganz allein und niemand anderes merke, was los war. Gerade jetzt ließ sich der Leitende Ermittlungsbeamte wahrscheinlich in dem vergammelten Bauernhaus mit Joy Springer volllaufen. Bei diesem Gedanken schämte Reynolds sich, Polizist zu sein.
    Er hoffte, dass Lucy Holly sich noch an jede Menge mehr von ihrer Auseinandersetzung mit Marvel erinnern würde, wenn sie ihre Aussage machte. Was sie ihm am Telefon berichtet hatte, reichte aus, doch er würde ihr noch mehr entlocken. Nuancen, Blicke, verkappte Drohungen. Reynolds wollte alles, so wie jemand, der Vogeleier sammelt, einen seltenen Vogel durch ein kleines Loch in der Schale schütteln will.
    Er verstaute seine Notizen und Lucys Aussage in einem Aktenordner und schaltete den Fernseher ein.
     
    Steven saß am Küchentisch, die Hände um die allererste Tasse Tee gelegt, die er je von Lucy Holly angenommen hatte.
    Er trug eine Hose von Jonas. Sie hatte ihm gesagt, wo er im Kleiderschrank im Schlafzimmer eine finden würde. Es war komisch gewesen, den Schrank der Hollys aufzumachen, aber auch nicht seltsamer, als ihre Haustür zu öffnen. Er hatte ein paar anprobiert, bis er eine frisch gewaschene Jeans fand, die einfach nur zu groß war anstatt vollkommen
lächerlich auszusehen. Steven rollte die Hosenbeine auf und zerrte dann den Bund mit seinem Schulgürtel zusammen.
    Seine Hose und Unterhose hatte er in den Wäschekorb getan, wie Lucy es ihm gesagt hatte, und dann war er wieder hinuntergegangen, als gerade der Kessel pfiff.
    Jetzt saßen sie sich gegenüber, und Steven sah zu, wie Mrs. Holly so tat, als fehle ihr nichts. Er wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte gesehen, wie ihre Hände gezittert hatten, als sie Tee machte, und er hatte gesehen, wie sie zusammengezuckt war, als sie die Tasse an ihre aufgeplatzte Lippe gesetzt hatte.
    All das war ihm aufgefallen, doch er ließ es nicht an sich heran, weigerte sich, allzu eingehend darüber nachzudenken. Stattdessen war er zu einer unbestimmten kleinen Kugel mit blanker Oberfläche geworden, um sich schützen zu können. Inzwischen wusste er, dass das seine Aufgabe war, seine ganz allein.
    Sie lächelte ihn schwach an, also verzog er zur Antwort den Mund.
    »Du hast deinen Tee ja gar nicht getrunken«, sagte sie.
    Der Tee war nicht mehr heiß, aber Steven trank ihn trotzdem  – ihr zuliebe  – und sah, dass dieses Geschenk ihr

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