Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
Vom Netzwerk:
war. Jonas war mit Billy zur Schule gegangen. An jenem nicht ganz dunklen Sommerabend waren er und seine Freunde vor perverser Erregung ganz hippelig gewesen, weil ein Junge verschwunden war. Ein Weilchen hatten sie sich auf den Straßen herumgetrieben, durch die selbst verliehene Bezeichnung »Suchtrupp« erwachsen und großmäulig geworden. Später dann, als er allein in seinem Zimmer gewesen war, hatte er Taschenlampen auf dem Moor gesehen  – ein eher ernüchternder, realerer Anblick  – und das Blaulicht der Polizei, das träge an den Fenstern vorbeipulsierte, bis seine Mutter hereingekommen war, die Vorhänge mit einem Ruck zugezogen und verkündet hatte, wenn sie noch einmal in sein Zimmer kommen müsse, dann würde sein Hinterteil das zuerst erfahren. Er erinnerte sich, wie er danach im Bett gelegen hatte und sich ganz sicher gewesen war, was Mrs. Peters’ kleinem Jungen zugestoßen war. Und Angst gehabt hatte, dass es auch ihm zustoßen könnte.
    »Sie kriegen ihn schon, Mrs. Peters«, sagte er jetzt und versuchte, so viel Gefühl wie möglich in die Worte zu legen. Mehr als alle anderen in Shipcott verdiente sie die Bestätigung, dass ihr keine Gefahr drohte  – dass ihrer Familie keine Gefahr drohte.
    Sie sah nicht beruhigt aus. »Die arme Margaret«, sagte sie anstelle eines Abschiedsgrußes. Dann wandte sie sich ins Haus und schloss die Tür.
    Er sollte wirklich etwas tun. Oder sich wenigstens eine bessere Antwort ausdenken als »nichts«, wenn ihn das nächste Mal jemand fragte. Ihm war nicht klar gewesen, wie dürftig sich das anhörte, bis er es laut ausgesprochen hatte.
    Ein Stück weiter sah er den Milchwagen auf den Bordstein fahren …

     
    Will Bishop sagte Jonas, er sei einen Monat im Voraus bezahlt worden.
    »Aber da wohnt doch niemand mehr, Will.«
    »Jep, aber se hat mich doch für ’ne Dienstleistung bezahlt. Ich kann doch nich’ einfach aufhör’n, meine Arbeit zu machen, bloß weil Mrs. Priddy tot is’, oder?«
    Jonas wusste, dass die »se«, die Will Bishop bezahlt hatte, Peter Priddy war. Bei den älteren Dorfbewohnern verschwammen die Geschlechterbezeichnungen noch immer so. Er betrachtete den Milchmann. Er war mindestens siebzig. Zaundürr, wettergegerbt und so zerknautscht wie eine Papiertüte. Seit über fünfzig Jahren lieferte er auf diesem Teil des Moors sieben Tage in der Woche die Milch aus.
    Jonas bewunderte sein Pflichtbewusstsein, doch er wusste auch, dass die logische Schlussfolgerung  – die Lieferungen einzustellen und Peter Priddy das restliche Geld zurückzugeben  – Will Bishop gar nicht in den Sinn gekommen war. Wenn es auf dem Exmoor einen größeren Geizhals gab, dann hätte Jonas ihm nicht begegnen wollen. Wäre Margaret Priddys Haus von einem Wirbelsturm erfasst und davongetragen worden, so hätte Will Bishop weiterhin jeden Tag einen halben Liter Milch auf die einsame Schwelle gestellt, bis er seiner Pflicht Genüge getan hatte. Und sobald die Rechnung überfällig war, hätte er noch am selben Tag stattdessen eine Nachricht hinterlassen: Zahln Sie Ihre Rechnung oder wir sehen uns vor Gerricht oder Bezahln Sie Ihren Milchmann oder bezahln Sie Ihren Anwalt. Jonas und Lucy hatten auch schon so eine Nachricht bekommen, sie lautete: Milchrechnung fälig. Bezahln Sie oder es knalt.
    Jonas berief sich nur höchst ungern auf seinen Polizistenstatus, aber … »Sie dürfen nicht an dem Absperrband vorbei, Will. Das ist ein Tatort.«
    Will sah ihn mit seinen kleinen, leuchtend blauen Augen vernichtend an. »Ich hab jede Menge von diesen Rollschuhbengeln an die Tür klopfen seh’n.«

    »Ich weiß, aber die hinterlassen keine Halbliterflaschen Milch als Beweis dafür, dass sie da waren.« Jonas seufzte. »Mich stört das nicht. Ich weiß, dass es harmlos ist. Aber die Kollegen aus Taunton sind jetzt für die Ermittlungen zuständig, und die stört es bestimmt.«
    Will wedelte abfällig mit der Hand und hüpfte wieder in sein Elektroauto. »Solln se mich halt verklagen! Ich seh die dann vor Gericht!«
    Sein Aufbruch war langsam und bedächtig, doch Jonas kam es trotzdem so vor, als habe der Milchmann ihn im Staub zurückgelassen.
     
    Die Spurensicherung war mit Margaret Priddys Haus fertig, daher hatte Marvel in Ermangelung eines Polizeireviers  – und da die Ställe zu weit vom Dorf entfernt waren, um eine brauchbare Basis abzugeben  – das Treffen mit ihrem Sohn dort arrangiert. Stand erst einmal fest, dass es kein natürlicher Tod gewesen

Weitere Kostenlose Bücher