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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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Dafür wurde er schließlich bezahlt.
    Nach einer unruhigen Nacht stand Jonas um Viertel vor sechs auf, gab der schlafenden Lucy einen Abschiedskuss, vergewisserte sich, dass Mrs. Paddon ihre Milch hereingeholt hatte und demnach noch am Leben war und ging die stockdunkle Straße hinunter ins Dorf. Um Viertel vor sieben klopfte er an die erste Tür, um auch ganz sicher die vier oder fünf Dorfbewohner zu erwischen, von denen er wusste, dass sie bald ebenfalls zur Arbeit fahren und leere Häuser zurücklassen würden.
    Als um neun die Schulglocke läutete, hatte Jonas ungefähr dreißig Häuser abgeklappert, hatte die Barnstaple Road hinauf und hinunter wieder und wieder dieselben Fragen gestellt. Was haben Sie gesehen? Was haben Sie gehört? Irgendetwas Verdächtiges? Irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte? Haben Sie meine Telefonnummer?
    Den ganzen Morgen hatte Jonas das ungemütliche Gefühl, dass er beobachtet wurde, während er sich sorgfältig alle möglichen Bemerkungen notierte.
    Es war der Zettel. Die Botschaft machte ihm zu schaffen. Machte ihm mehr als nur zu schaffen. Es gab kein Haus, wo Jonas Erkundigungen eingezogen hätte, ohne dass eine kleine Stimme in seinem Kopf eine ganz andere Frage stellte: War er es? War sie es? Haben sie den Zettel geschrieben?
    Allein die Tatsache, dass er nicht mit Lucy darüber gesprochen hatte, zeigte, wie sehr ihn das Ganze aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Es war nicht Jonas’ Gewohnheit, etwas vor seiner Frau zu verbergen. Daher wusste er, dass dieses schuldbewusste Jucken im Nacken und das Bedürfnis, sich ganz plötzlich umzudrehen, höchstwahrscheinlich daher kamen, dass er Geheimnisse vor Lucy hatte.
    Seit Montagmorgen, als er die Botschaft gefunden hatte, kniff Jonas jedes Mal den Mund zusammen, wenn er auf den
Land Rover zuging. Seine Augen suchten die Windschutzscheibe ab, fürchteten eine weitere Anklage  – eine weitere Wahrheit. Und abends, wenn er Lucy nach oben und ins Bett half, dachte er jetzt ebenso oft an den Zettel wie daran, wie seine Frau ihm unter den Händen dahinsiechte. Sie hatte Steroide genommen, von denen sie dick geworden war. Jetzt jedoch konnte er die Rippen an ihrem Rücken fühlen, die dornigen Buckel ihrer Wirbelsäule, die scharfe Klinge ihres Beckens, die rüde dort hervorstach, wo ihre glatte, schöne Hüfte gewesen war. Seine Frau verschwand allmählich, und es war seine Aufgabe zu verhindern, dass sie rücklings in den Abgrund stürzte.
    Lucy braucht Sie. Jetzt mehr denn je.
    Sie tat so, als ginge es schon  – stand jeden Tag auf und zog sich an, pflanzte zu spät Narzissen und Anemonen in bereits gefrorene Erde, las den Bugle und fragte, wie sein Tag gewesen sei. Doch er wusste, dass das alles nur brüchige Fröhlichkeit war. Wie sie meinte, ihm zulächeln zu müssen, wenn sie merkte, dass er sie ansah. Wie sie mit den Lippen die Worte »Ich liebe dich« sagte, während ihr Blick ständig die Wände nach einem Fluchtweg absuchte.
    Das Letzte, was sie brauchte, war, sich um ihn sorgen zu müssen.
    Und wenn sie wüsste, wie ihm seit der Sache mit dem Zettel zumute war, würde sie sich Sorgen machen. Denn seit dieser Geschichte fühlte er sich grauenhaft.
    Unruhig, schuldig, paranoid.
    Er schämte sich.
    Wie konnte er ihr von dem Zettel erzählen? Das Wissen um dieses entsetzliche Blatt Papier konnte genügen, sie zu zerbrechen. Zum zweiten Mal.
    Nein … Lucy hatte schwer genug zu schleppen. Die Botschaft würde er allein tragen.

     
    Marvel nahm Peter Priddy natürlich nicht fest. Er sprach nicht einmal mit Peter Priddy. Er wies Reynolds an, in Shipcott die Befragung von Haus zu Haus fortzusetzen, und verbrachte den Morgen damit, diverse Vollidioten in der Dienststelle anzubrüllen, um eine mobile Einsatzzentrale zugewiesen zu bekommen. Hier draußen, gestrandet in all der Luft und all dem Wetter, brauchte Marvel dringend die schmuddelige Enge eines Wohnwagens, um so etwas wie Zielstrebigkeit zu verspüren.
    Am Nachmittag hatte Marvels Einsatzkommando mehr als genug Klatsch und Tratsch zu hören bekommen. Anders als in der imaginären Filmversion über das unheilvolle Leben in einem kleinen, verschwiegenen Dorf konnten die Bewohner von Shipcott es gar nicht erwarten, ihre Meinung zum Thema »Wer war’s?« kundzutun. Bereitwillig ließen sie ihr schwammiges Erinnerungsvermögen durch Fragen, was sie in der Nacht, in der Margaret Priddy umgekommen war, gesehen hatten, auf die Probe stellen. Dem Team war, als wären sie
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