Der Beschütze
oberschlauen Bemerkungen über die Nässe von Wasser noch mehr auf die Palme bringen konnte.
Marvel zog die Nase kraus und schnupperte wie ein Hund, ehe ihm aufging, dass der Gestank von seinen dampfenden Schuhen kam, die das Zimmer mit durchdringendem Fußgeruch erfüllten.
Morgen würde er sich Gummistiefel zulegen und sie auf seine Spesenrechnung setzen.
Jonas hatte Badezimmer und Küche geputzt, eine Ladung Wäsche angestellt, ein Hemd für morgen früh gebügelt und Tofusteak mit Ofenpommes und Brokkoli zum Abendessen gemacht. Das Einzige an echtem Fleisch, worauf Lucy dieser Tage bestand, war Schinken und gelegentlich ein Burger von McDonald’s, auf die war sie so scharf, als wäre sie schwanger. Der nächste McDonald’s war in Minehead, eine
Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt, manchmal jedoch machten sie einen Tagesausflug daraus.
Wenigstens konnte man einen Burger in beide Hände nehmen, dachte Lucy wehmütig, während sie sich abmühte, ihr Tofusteak zu schneiden. Manchmal konnten ihre Hände so etwas, und manchmal ging es einfach nicht. Jonas beugte sich zu ihr herüber und tat es für sie, ohne weitere Umstände und – irgendwie – ohne dass sie sich dabei bevormundet oder erbärmlich vorkam.
Er erzählte ihr, dass er jetzt in die Ermittlungen einbezogen würde. Wie es dazu gekommen war, sagte er nicht. Außerdem verschwieg er ihr, dass seine Mitarbeit darin bestehen würde, in der Eiseskälte vor einer Haustür zu stehen mit dem fadenscheinigen Ziel, den Mörder auszumachen, wenn dieser zwanghaft immer wieder am Schauplatz des Verbrechens vorbeischlenderte.
Im Großen und Ganzen behielt er sämtliche Details für sich, von denen er wusste, dass sie sie unheimlich wütend machen würden. Seinetwegen.
Und obgleich sie wusste, dass er etwas verbarg, fragte Lucy nicht. Sie drückte ihm bloß die Hand, so gut sie konnte, beteuerte, sie fühle sich sicherer, weil er an dem Fall mitarbeite, und dankte ihm dafür, dass er die zusätzliche Milch mitgebracht hatte.
19 Tage
Um Punkt acht Uhr stand Jonas vor Margaret Priddys Haustür, was bedeutete, dass ein stetiges Rinnsal Kinder fast eine Stunde Zeit hatte, ihn auf dem Schulweg flüsternd und kichernd anzuglotzen. Das Absperrband war bereits eine Attraktion gewesen; dass Jonas nun dort stand wie der wachhabende Bobby vor dem Amtssitz des Premierministers, stellte geradezu ein schwarzes Loch der Faszination dar, das von überall im Dorf Kinder und Jugendliche einsaugte.
Linda Cobb von nebenan brachte ihm um halb neun einen Tee. Er nahm ihn höflich entgegen und musste dann sinnlos Wache stehen und dabei hin und wieder an einem Becher nippen, auf dem World’s Best Mum stand. Dies fachte die Schadenfreude der spottenden Jugendlichen noch mehr an. Es waren eigentlich nette Kids; Jonas kannte sie alle. Und er wusste auch, dass nur das Zusammentreffen von Mord, Absperrband und seinem plötzlichen albernen Wachdienst sie frech werden ließ – doch im Augenblick wünschte er sich im Stillen, die ganze Bande würde still und leise verschwinden. Sein Wunsch ging in Erfüllung, als die Schulklingel sie in einem kollektiven Spurt zum anderen Ende des Dorfes zitierte.
Um halb zehn begann es zu regnen, eisige Tropfen, die auf seinen Helm trommelten. Jonas hatte seine schwarze, wasserdichte Windjacke an, seine Beine jedoch waren von den Schenkeln abwärts bald völlig durchnässt. Linda Cobb holte den Becher und brachte ihm einen Regenschirm. Mit Blumen drauf.
Um zehn Uhr beschloss Jonas, die Grundstücksgrenze abzuschreiten, um sich warm zu halten. Wenn der Mörder zurückkam,
sagte er sich, dann könnte er schließlich genauso gut zur Rückseite des Hauses zurückkehren wie zur Vorderseite.
Er stiefelte durch das nasse Gras des Fußballplatzes neben Margaret Priddys Cottage und dann hinten herum – ganz so, wie Marvel es am Vortag getan hatte. Genau wie Marvel ging er den Gartenweg hinauf, vorbei an einem kleinen Haufen Metallleisten, und bemerkte den alten Zwinger, als prompt der Terrier von nebenan an den Zaun geschossen kam. Jedes Mal, wenn er bellte, vibrierte sein ganzer Körper.
»Hallo, Dixie«, sagte Jonas ruhig, und der Hund wedelte mit dem Schwanz und hörte auf zu kläffen, als er seinen Namen hörte.
Der Müllcontainer war weg – wahrscheinlich im Labor –, doch vor seinem inneren Auge sah er ihn immer noch neben dem Anbauschuppen stehen, ein leichter Zugang zu dem Flachdach und dem Schlafzimmerfenster.
Und so was
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