Der Beschütze
nennt sich Polizist?
Jonas schluckte heftig. Wie einfach das Ganze gewesen war. Alles, was der Mörder brauchte, war da. Selbst die kleinere Mülltonne aus Metall, die zurückgeblieben war, hätte es einem einigermaßen sportlichen Mann ermöglicht, auf das Schuppendach zu klettern. Er nahm den Deckel ab und drehte die Tonne um, dann stieg er hinauf, wobei er die Füße dicht an den Rand setzte, um nicht durchzubrechen, und schwankte dabei wie ein Elefant auf einem Wasserball.
Das Dach des Schuppens fühlte sich unter seinen Händen rau an, doch es war nicht schwer, sich dort hinaufzuziehen. Dann machte er ein paar knarrende Schritte zum Fenster hinüber, wo noch immer dunkles Fingerabdruckpulver am Holz klebte. Es war ein Schiebefenster, und der Riegel befand sich für Jonas in Kopfhöhe. Ein kleinerer Mann – und er ging davon aus, dass der Mörder kleiner sein musste – hätte mit den Händen über dem Kopf hantieren und nach oben schauen müssen. Unbequem, aber möglich. Alles, was
nötig war, war ein dünner Metallstreifen, in den Rahmenspalt geschoben und gegen den Riegel gedrückt, um ihn zur Seite zu schieben. Ein Messer – oder vielleicht hätte es ein Stück aus der kleinen Schrottsammlung am Ende des Gartens ebenso getan. Von hier aus waren die Kerben und Kratzer um den Fensterriegel herum deutlicher sichtbar als von innen, und Jonas sah, dass zitronengelbe Lacksplitter auf das dunkle Dach darunter gerieselt waren. War der Riegel erst überwunden, bräuchte man nur noch das Fenster hochzuschieben. Jonas packte den Rahmen, um zu sehen, wie viel Kraft das erfordern würde. Nicht viel, aber vielleicht war dieses Fenster auch besonders leichtgängig. Seine Handflächen quietschten leise auf der Glasscheibe. Das Geräusch des emporgleitenden Fensters hätte Margaret Priddy wecken können, aber wen interessierte das schon? Selbst wenn sie es gehört hatte, sie konnte sich doch nicht bewegen, konnte nicht Alarm schlagen, konnte nicht um Hilfe rufen …
Grauenhaft.
Langsam trat Jonas zurück und sah vor seinem geistigen Auge das Fenster kaum noch. Er blickte zum Himmel hinauf, damit der Regen auf sein Gesicht fiel. Große Tropfen auf seinen Augenlidern. Dann öffnete er den Mund und ließ ihn volllaufen, ging zum Rand des Daches und spuckte in den Garten. Danach fühlte er sich gereinigt.
Als er sich vom Dach wieder auf die umgedrehte Mülltonne hinunterließ, bemerkte Jonas etwas Kleines, Rundes aus Plastik in der Regenrinne. Er legte den Kopf schräg, um das Ding besser in Augenschein nehmen zu können, und sah, dass es ein Knopf war, der halb im Schmutz begraben lag. Wäre er nicht auf Augenhöhe gewesen, so hätte er ihn nicht gesehen. Vielleicht zwei Zentimeter im Durchmesser, vier Löcher, schwarz – ganz ähnlich wie der Knopf an seiner eigenen Uniformhose. Rasch vergewisserte er sich, dass er sich den Hosenknopf nicht abgerissen hatte, als er auf das Dach geklettert war, doch der saß vorschriftsmäßig an Ort und
Stelle. Jonas widerstand dem Drang, den gefundenen Knopf aufzuheben und in den Fingern zu drehen, doch er konnte auch von hier sehen, dass nichts Besonderes an ihm war – abgesehen von der Tatsache, dass er hier auf dem Dach lag, vor dem Fenster eines Zimmers, in dem eine Frau ermordet worden war. Abgesehen davon.
»Hallo«, sagte eine Stimme, und Jonas schaute nach unten und erblickte einen Mann mittleren Alters mit Brille.
»Mike Foster«, stellte sich der Mann mit fröhlichem Lächeln vor. »Ich komme wegen der Kotze.«
»Kotze?«
»Anscheinend direkt vor der Hintertür«, erklärte Foster.
Jonas ärgerte sich, dass Marvel ihm nicht gesagt hatte, dass hier hinter dem Haus etwas war. Er hätte hineintreten, hätte alles verderben können.
»Davon hat mir niemand etwas gesagt«, gestand er, als er sich wieder auf den Betonbelag fallen ließ.
Beide suchten nach dem Erbrochenen, setzten die Füße jetzt achtsam auf und wechselten dabei freundliche Worte, hauptsächlich über das lausige Wetter.
Foster war bemerkenswert gut gelaunt für jemanden, der im Regen fast hundert Kilometer gefahren war, nur um Erbrochenes in einen Plastikbeutel zu schaufeln. Das sagte Jonas ihm auch.
»Oh, Kotze ist etwas Wunderbares!«, rief Foster. »Wenn der Urheber ein Sekretor ist, kriegt man DNS. Oder zumindest findet man raus, wie er sich ernährt hat.«
»Auch nachdem das Zeug vollgeregnet worden ist?«
»Es ist weniger der Regen als das Alter. Die Säure in dem Erbrochenen
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