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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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jedoch glitt ihm alles aus den Händen. Sein Kopf hatte zu schmerzen begonnen, sobald er Lucy verlassen hatte, und jetzt pochte er ganz gemein, während der Tunnel aus Straße und Moor auf
ihn zurauschte wie in einem Videospiel. Er hätte niemals zu Marvel gehen sollen, so wie er sich fühlte, doch er hatte eine Ablenkung gebraucht, um nicht mehr an ihre Worte denken zu müssen. Er konnte es nicht ertragen, daran zu denken  – daran zu denken, dass sie tot sein würde. Dass sie nicht da sein würde. Daran, etwas zu haben, was ihn an sie erinnerte  …
    Er hatte unbedingt aufhören müssen, daran zu denken. Er hatte Peter Priddy angerufen, er hatte Marvel abgeholt. Jetzt versuchte er, sich darauf zu konzentrieren, was sie zu ihm gesagt hatten und was er zu den beiden gesagt hatte; er häufte Worte auf wie Asche auf schwelende Glut, doch ihre Worte leuchteten und flackerten darunter noch immer. Jetzt, da diese Worte entzündet worden waren, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie jemals ausgehen würden, und er fühlte ihr Brennen ganz unten an der Schädelbasis.
    Das Pony kam aus dem Nichts, füllte sein Gesichtsfeld aus und knallte gegen den Wagen, alles in einer einzigen hektischen Sekunde. Als Jonas auf die Bremse trat, war es bereits hinter ihnen.
    Der Land Rover schleuderte kurz und würgte mit einem Ruck ab.
     
    »Scheiße!« , stieß Marvel hervor.
    Der Motor tickte leise in der Stille.
    Marvel schaute in den Außenspiegel und sah zwanzig Meter hinter ihnen den dunklen Umriss des Tieres auf der Straße, schwach angestrahlt von ihren Bremslichtern.
    »Ich glaube, es lebt noch«, sagte er. »Wir gehen lieber mal nachsehen.«
    Er sah Jonas an, doch der Jüngere starrte ihn lediglich verständnislos an, als hätte er ihn nicht gehört.
    »Wir sollten hingehen und uns das Vieh ansehen«, wiederholte er, und diesmal bekam Holly mit, was er gesagt hatte, und sah in den Rückspiegel. Dann setzte er zurück, bis sie nur noch ein paar Meter von dem Pony entfernt waren.

    Marvel stieg aus. Hier oben auf dem Moor war es viel kälter und außerdem trockener  – der Himmel sog die Feuchtigkeit aus der Luft und machte sich für etwas sehr viel Spektakuläreres bereit als für simplen Regen. Er ging zum Heck des Land Rover. Im trüben Schein der Rücklichter konnte selbst Marvel sehen, dass das Vorderbein des Tieres in einem widerlichen Winkel gebrochen war. Das Pony versuchte trotzdem aufzustehen, wälzte sich herum und strampelte nutzlos; seine Hufe scharrten auf dem Asphalt und hinterließen helle Spuren darauf, ehe es wieder auf die Seite sank. Seine Rippen hoben und senkten sich heftig unter dem zottigen Winterfell, und die Augen rollten weißgerändert wild umher.
    »Sein Bein ist gebrochen«, stellte Marvel fest. Auf Anleitung hoffend, schaute er zu Jonas auf und war überrascht, ihn nicht neben sich zu finden. Er sah sich um. Jonas war mit ihm zusammen aus dem Wagen gestiegen, stand aber noch an der Fahrertür, eine Silhouette vor den Sternen.
    Er hob die Stimme. »Es hat sich das Bein gebrochen.«
    Durch die rötlich schimmernde Dunkelheit sah er die Silhouette nicken.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Marvel.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Na, Sie sind doch verdammt noch mal von hier! Diese Viecher werden doch bestimmt andauernd von irgendjemandem angefahren.«
    »Ich rufe den Jagdverein an«, sagte Jonas nach einer kurzen Pause.
    »Was?«
    »Ich rufe den Jagdverein an. Die kommen her und erschießen es, zum Verfüttern.«
    »Verfüttern?« Marvel war völlig verwirrt.
    »An die Hunde.«
    »Das soll doch wohl ein Scheiß witz sein!«
    »Nein«, antwortete Jonas. »Bestimmt nicht.«
    Marvel versuchte, das alles geistig zu verarbeiten. Vor zwei
Minuten war er zum Pub unterwegs gewesen. Jetzt sah er sich mit einem verendenden Pferd, einem weggetretenen Begleiter und der Vorstellung von einer Hundemeute konfrontiert, die einem noch warmen Tier das dunkelbraune Fell herunterriss, während gesichtslose Männer im roten Rock lachend daneben standen.
    Und er war noch nicht einmal betrunken.
    Vielleicht hatte er einen Schock. Vielleicht hatte Jonas Holly auch einen, bei seinen einsilbigen Antworten.
    Er musste das Ganze nüchtern betrachten. Praktisch denken.
    »Wir sollten es von seinen Qualen erlösen«, meinte Marvel und wusste genau, dass er nicht dazu imstande wäre. Doch er hoffte, ein Mann vom Lande wie Jonas würde das Ruder übernehmen.
    Marvel hatte keine Ahnung von Pferden. Er war sich nicht sicher, ob er

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