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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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Botschaft hätte ihm befohlen: »Mach deine Arbeit.« Er schämte sich zu sehr, um ihnen zu erzählen, dass er als Heulsuse bezeichnet worden war. Dann reichte er Reynolds den letzten Zettel, in einem Gefrierbeutel aus Plastik, den er aus der Küchenschublade gefischt hatte.
    Er hatte erwartet, dass Marvel sauer sein würde, weil er ihnen erst jetzt davon erzählte. Er hatte damit gerechnet, dass er ihn gründlich zusammenstauchen würde. Was er nicht erwartet hatte, war, dass der übergewichtige, in die Jahre gekommene DCI sich alles mit steinerner Miene anhören  – und sich dann wie Das Ding aus dem Sumpf aus seinem Sessel emporwalzen und ihn mit einem klirrenden Krachen rückwärts gegen das Klavier stoßen würde. Eben erzählte Jonas noch seine Geschichte, dann saß er plötzlich halb auf den Tasten, während Marvel ihm eine Handvoll Hemd unters Kinn rammte, vor Wut bebte und wütende Tiraden brüllte, die Jonas nicht ganz zu erfassen vermochte. Hinter Marvel versuchte Reynolds, seinen Boss wegzuzerren, und hinter Reynolds bemerkte Jonas eine kleine Schar alter Leute, die sich gegenseitig an den Unterarmen gefasst hielten, während die drei sich auf und neben dem Klavier balgten. Jonas taumelte, als das Instrument unter dem Gewicht des Zwists zur Seite rollte. Er hätte Marvel mit Leichtigkeit wegstoßen können, doch der war sein Vorgesetzter. Außerdem hatte er Verständnis für den hilflosen Zorn des Mannes und konnte nicht die nötige Empörung aufbringen, um sich richtig zur Wehr zu setzen. Noch während Marvel ihm die Fingerknöchel in den Hals bohrte, dachte ein Teil von Jonas: »Das habe ich verdient.«
    Das Personal kam hereingestürzt, schrie durcheinander
und wollte ihnen Einhalt gebieten, doch erst als Mrs. Betty Tithecott mit hoher, papierdünner Stimme zu schreien und mit dem Finger zu zeigen begann, stellten die drei schließlich ihr Gerangel ein und schauten sich um, zerzaust und außer Atem.
    Halb in dicken Stoff gewickelt und zwischen das nunmehr verschobene Klavier und die Wand des Gartenzimmers geklemmt lag dort der Leichnam von Gary Liss.
     
    Mit Marvel ging es bergab.
    Reynolds hatte schon immer gewusst, dass es so kommen würde, doch jetzt, wo es tatsächlich geschah, war es beklemmender, als er erwartet hatte.
    Schon bevor ihr Hauptverdächtiger hinter einem Klavier gefunden worden war, eingewickelt wie ein Kebab, hatte Marvel auf dünnem Eis gestanden. Reynolds hatte gesehen, wie Marvels Hände gezittert hatten, als sie die Leichen und die Zimmer in der Sunset Lodge inspiziert hatten. Dann dieses Geflenne bei der Pressekonferenz. Reynolds hatte das Schimmern in seinen Augen gesehen, und das Licht hatte damit nichts zu tun gehabt.
    Und Jonas Holly gegenüber so auszurasten, das war wie eine Szene aus Die Füchse .
    Das war kein Handeln unter Schock gewesen, und es lag auch nicht daran, dass Marvel sich das alles so sehr zu Herzen nahm.
    Er wusste, dass Marvel wieder trank; allerdings hatte der DCI seinerzeit auch nur unter Zwang aufgehört, nicht aus echter Überzeugung. Man brauchte kein Genie zu sein, um das zu merken, wenn Marvel morgens aus seinem Cottage kam, nach Alkohol und Pfefferminz roch und von oben bis unten voller Katzenhaare war. Hätte man allerdings doch ein Genie sein müssen, dachte Reynolds gern, so wäre er dieser Aufgabe gewachsen gewesen.
    Reynolds’ Meinung nach  – die alles andere als bescheiden
war  – hatte Marvel im Laufe dieser Ermittlungen einige durchaus schädliche Entscheidungen getroffen.
    Dazu zählte ganz besonders die, von einem gelegentlichen Feierabendbier auf harte Sachen umzusteigen, wenn er allein war. Oder zusammen mit Joy Springer  – aber das war letztlich nichts anderes, als allein zu sein, während jemand anderes im Zimmer war.
    Eine weitere Fehlentscheidung war, dass er Jonas Holly nicht hinzugezogen hatte.
    In ihrem Geschäft bauten sie auf heimische Streifenpolizisten wie Jonas, und er und Marvel hatten das im Lauf des vergangenen Jahres bei etlichen Ermittlungen getan. Natürlich zeigte Marvel den Kollegen vor Ort gern gleich von Anfang an, wer dabei der Boss sein würde. Unhöflich, grob, rücksichtslos  – das waren anscheinend Marvels Leitlinien für das, was er sarkastisch den »Ersten Kontakt« nannte, als wären die Polizisten vom jeweils zuständigen Revier irgendeine außerirdische Rasse, deren einziger Daseinszweck darin bestand, unterworfen und seinem Willen gefügig gemacht zu werden.
    Irgendetwas musste

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