Der Beschützer
wieder in Bewegung. Der transzendentale Augenblick von Zeitlosigkeit fand ein abruptes Ende.
Jähe Hitze wogte heran, als das Navigationspult weiter vorn mit einem ohrenbetäubenden Donnern explodierte. Aus einem Reflex heraus wandte sich Cavit in die entsprechende Richtung. Eine Million Ängste rangen in ihm um Vorherrschaft – Angst vor einem Feuer, das kostbaren Sauerstoff raubte, vor einem Gasleck oder gar einem Riß in der Außenhülle. Er bekam keine Gelegenheit herauszufinden, welche dieser Möglichkeiten zutraf: Eine heftige Druckwelle erfaßte Cavit, schleuderte ihn übers Geländer hinweg zum Oberdeck. Die Pranke eines unsichtbaren Titanen schien ihm die Luft aus den Lungen zu pressen, und mit der Schulter voran prallte er auf den Boden. Welche Kraft auch immer das Schiff erfaßte hatte: Sie existierte nach wie vor, hielt die Voyager noch immer fest und schüttelte sie mit der gleichen Unbarmherzigkeit wie ein Hund den Hasen zwischen seinen Zähnen. Der Erste Offizier versuchte, sich irgendwo festzuhalten, als das Deck kippte und er zur technischen Konsole rutschte. Dort stieß er gegen jemanden, der daraufhin den Halt verlor und fiel. Cavit schmeckte Blut – er wußte nicht, ob es sein eigenes war oder das des anderen Mannes –, als ihn eine weitere Erschütterung ans Pult schmetterte. Einige Sekunden lang blieb er benommen liegen.
Cavits Starfleet-Dienst hatte an Bord eines kolonialen Versorgungsschiffes vor etwa fünfzehn Jahren begonnen.
Damals war er ein junger Fähnrich gewesen, der die Akademie-Ausbildung erst noch beenden mußte. Ein neuer Lehrplan gab den Studenten Gelegenheit, die Realität im All direkt kennenzulernen, sich gewissermaßen ›nasse Füße‹ zu holen.
Damals hatte Cavit jene Einsätze für unerhört aufregend gehalten. Die USS Kingston brachte Wissenschaftler, Medizin, Tiere und Ausrüstungen zu allen Kolonien zwischen Mirakel und Cimota VI. Es schien keine romantischeren und
wichtigeren Aufgaben zu geben, als den fernen Bastionen der Menschheit jene Dinge zu liefern, die man dort zum Überleben brauchte. Cavit kam sich vor wie ein junger Gott, der mehreren Welten den Segen der Sterne zuteil werden ließ. Russ Tepper, Oberbootsmann der Kingston, hatte gelacht, als Cavit ihm seine Empfindungen schilderte, doch auch dadurch änderte sich nichts an der Einstellung des jungen Fähnrichs.
Als das Schiff Keimzellen von den genetischen Entwicklungslaboratorien auf Vulkan nach Rukbat III brachte, griffen orionische Piraten an und rissen die Außenhülle auf.
Die Orioner glaubten, daß die Kingston Latinum transportierte, das in den Verarbeitungsanlagen im Ganges-Sektor geschmolzen und in ein wertvolles Endprodukt verwandelt werden sollte. Sie kamen an Bord und töteten alle, die sich ihnen in den Weg stellten – bis sie schließlich ihren Irrtum einsahen. Doch zu jenem Zeitpunkt war es zu spät, einfach den Rückzug anzutreten. Wenn sie das Schiff verließen, ohne alle Besatzungsmitglieder der Kingston zu tötenc Dann gab es Zeugen, die sie gesehen hatten, ihren Raumer und das individuelle Emissionsmuster seines Triebwerks identifizieren konnten. Dann war es möglich, daß man sie verfolgte und schließlich faßte, um sie vor ein Föderationsgericht zu stellen und zu verurteilen. Schlimmer noch: Vielleicht überließ man sie dem orionischen Justizsystem, das auf ziemlich unangenehme Weise mit Piraten verfuhr, die dumm genug waren, sich schnappen zu lassen.
Nach den Maßstäben ihrer eigenen beschränkten Moral blieb den Orionern gar keine Wahl: Sie mußten alle Personen an Bord umbringen, um zu vermeiden, daß jemand den Finger der Anklage auf sie richtete. Daß der größte Teil der Crew aus unbewaffneten Arbeitern und unerfahrenen Fähnrichen bestand, spielte für sie keine Rolle.
Cavit war damals so jung gewesen, daß er jede Möglichkeit nutzen wollte, um Vorgesetzten zu gefallen. Als Russ Tepper ihn und die anderen entsetzten Kadetten packte, zögerte er nicht, alle seine Anweisungen zu befolgen. Aus irgendeinem Grund glaubte er, daß sich alle Probleme lösen ließen, wenn man nur den Befehlen eines vorgesetzten Offiziers gehorchte.
Tepper brachte sechzehn junge Männer und Frauen in den achtern gelegenen Frachtkammern unter, in den für die Keimzellen bestimmten Transportkapseln. Als die Orioner jene Räume erreichten, wußten sie bereits, daß es kein Latinum an Bord gab. Deshalb hielten sie sich nicht damit auf, die für sie wertlose Fracht zu untersuchen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher