Der bessere Mensch
der Einzige wäre … Darüber müssen wir uns jetzt aber nicht streiten, oder … Ja, ich auch … Bis später.“
War es denn wirklich ein Zufall, dass sich ihre Fälle überschnitten, fragte er sich, während er den Teller pflichtbewusst leer aß. Vielleicht hatte er sich ja, vielleicht verrannten sie sich ja alle, wenn sie die offensichtlichsten Zusammenhänge in den Vordergrund ihrer Ermittlungen stellten. Diese ganze verfluchte Nazi-Geschichte, diese Abertausenden Mörder, diese Millionen an Opfern, diese versuchte Erleichterung und Befreiung durch Vergessen und Verdrängen genauso wie dieses penetrante und keifende Hindeuten mancher Menschen, die sich in erster Linie selbst profilieren wollten, das war ein zäher Ruß, der sich immer wieder an Ermittlungen klebte, egal ob das Verbrechen irgendetwas mit dem Nationalsozialismus zu tun hatte oder nicht. Da mochten die Täter von damals tot sein oder im Aussterben begriffen, ihre Schatten hingen über dem Land wie Nosferatus lange Finger und ihr verruchtes Genmaterial keimte längst in zu vielen Nachkommen. Meist ging Schäfer damit so pragmatisch um wie der Großteil seiner Zeitgenossen. Keine Zeit für den Scheiß, war die gängige Ausrede. Höchstens in unerwarteten Momenten, wie zuletzt, als er mit Bergmann auf den Steinhofgründen laufen war, oder im Monat zuvor, als er im Zuge einer Befragung ein Haus betrat, an dem ein Messingschild befestigt war, das an die zehn deportierten und ermordeten Familien erinnerte, die dort in den Dreißigerjahren gewohnt hatten, da war ihm übel geworden, als er die Stiegen hinaufstieg, fast war er kollabiert, als die wilden Mustangs seiner Vorstellungskraft durchgingen und ihn selbst plötzlich zu den Polizisten der Gestapo machten, die einst mitten in der Nacht die Türen eingetreten, Kinder, Frauen, Männer aus ihren Betten geschleift hatten, um sie in Viehwaggons zu pferchen und ihrer Hinrichtung entgegenzuführen. Böses Karma, das die Ahnen da über das Land und seine Kinder gebracht hatten. Böses Karma mit Reinkarnationsgarantie, wenn man sich die Alltagsfaschisten so ansah. Und jetzt hatte er wieder so einen Fall, an den sich diese Tentakel saugten. Bienenfeld, das Naziopfer, Hofers Vater, der Nazifolterer, Borns Vater, der SS -Mann – doch was hatte dieser beschissene Kastor damit zu tun?
Schäfer schob den Teller weg, klappte seinen Computer auf und öffnete den Ordner mit den Tonbandaufnahmen von Kastors Vernehmung. Irgendwo musste eine Spur sein, irgendwo musste sich dieser ganze Wahnsinn doch zu einem erkennbaren Bild fügen. Doppelklick auf die Tondatei:
Am Anfang habe ich ja gar nicht daran gedacht, die umzubringen … habe ja noch niemanden umgebracht davor, gar nicht gewusst, wie das geht … aber wie ich fertig war, ich ziehe mir die Hose rauf und denke, dass ich die nicht so liegen lassen kann. Die hat mich ja gesehen und alles. An Anke habe ich da nicht gedacht, sicher nicht, die hat damit nichts zu tun, lasst sie bloß in Ruhe. Ja, da habe ich die dann ins Auto gepackt, hat sich ganz schön gewehrt. Das hat mir auch gefallen. Dass die mir ausgeliefert war. Als ich ihr die Kabel um den Hals legte, war sie dann still. Die hat wohl gewusst, was auf sie zukommt. Dann ist das Gefühl gekommen, dass ich was Besonderes getan habe. Mir ist es gut gegangen, echt. Wie ich zurückgefahren bin, habe ich mir auch gedacht, dass ich ins Fernsehen komme. Als es dann wirklich so war, habe ich mich zuerst erschreckt. Aber dann habe ich’s wirklich cool gefunden … he, ich im Fernsehen …
Schäfer beendete die Aufnahme vorzeitig, sah sich nur mehr die Eckdaten des Verbrechens an und wechselte zum Fall des arbeitslosen Anstreichers, den Kastor in dessen Wohnung getötet hatte.
Er ist immer betrunkener geworden, die Sau … hat sogar in seinen eigenen Vorraum gekotzt. Ich nicht, aus Alkohol mache ich mir nichts, Drogen auch nicht … irgendwann haben wir zu streiten angefangen. Der hat gemeint, dass ich mein Leben verpfusche, ausgerechnet der. Wir sind auf dem Boden gesessen, weil der hat in seiner Wohnung keine Couch oder was gehabt, er mir gegenüber und ich bin immer gereizter geworden, was weiß ich, warum. Und dann habe ich irgendwann gewusst, dass ich ihn umbringen werde. Jetzt lachst du noch, habe ich mir gedacht, jetzt lachst du noch, du Sau. Dann bin ich aufgestanden, habe ihm mit dem Fuß ins Gesicht getreten. Er ist umgefallen und hat sich die Nase gehalten, die war gebrochen. Hat geblutet wie eine Sau und
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