Der bessere Mensch
Tochter erstichst, Muselmann … lässt du dann das Messer in ihrer nackten Brust stecken … oder ziehst du es heraus und deckst sie zu, damit kein Ungläubiger sie so sieht, he, du islamitischer Arsch …“
Der Mann hob instinktiv die Arme und begann auf Türkisch zu stammeln.
„Lasst sie einfach nur leben“, schrie Schäfer und beugte sich über das Verkaufspult. Mit der Faust zertrümmerte er die Glasvitrine unter sich. Dann steckte er die Waffe weg und verließ das Geschäft.
Als er in seinem Zimmer erwachte, war es dunkel. Der Regen hatte aufgehört, aus der Ferne drang immer noch das Grollen des Donners durchs offene Fenster. Schäfer richtete sich auf und drehte das Licht an. Von der Türschwelle bis zum Bett lief eine Spur aus Blutstropfen, auch das Leintuch sah nach Verbrechen aus. Scheißglück, dass es geregnet hat, sagte er sich und betrachtete die Schnittwunden an seiner Hand, sonst hätten sie ihm schon die Tür eingetreten und er säße in U-Haft. Er zog seine nassen Kleider aus und stellte sich unter die Dusche. Dann rief er seinen Bruder an.
„Kannst du mich abholen? … In meiner Pension … Nein … Nein, ich bin nicht betrunken, außerdem: Was macht das für einen Unterschied … Kommst du mich jetzt abholen oder nicht? … Danke …“
Zwanzig Minuten später stand Jakob vor Schäfers Zimmer und klopfte kräftig an die Tür.
„Jaja … ist eh offen.“
„Was ist denn los … geht’s dir gut?“
„Wie man’s nimmt …“
„Du siehst … schrecklich aus …“
„Danke … kann ich bei dir schlafen?“
„Natürlich … bist du sicher, dass ich dich nicht …“
„Nein, ich will nicht in dein beschissenes Krankenhaus, fahren wir einfach zu dir …“
Kein Wort während der Autofahrt. Erst als sein Bruder ihm eine Tasse Tee hinstellte, brachte Schäfer den Mund auf und erzählte etwas zusammenhanglos, was passiert war.
„Seit wann nimmst du diese Medikamente?“
„Vier Monate … dreieinhalb eigentlich …“
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“ Schäfers Bruder verließ den Raum und kam mit einem Notarztkoffer wieder.
„Leg deine Hand auf den Tisch, das muss genäht werden.“
„Ohne Narkose?“
„Das wirst du schon aushalten.“
Eine Viertelstunde später war Schäfers Hand verbunden.
„Ich wollte es dir eh erzählen …“
„Und wann … bei einem Anruf aus der Geschlossenen? Bitte, bitte, hol mich raus, die glauben, ich bin verrückt, aber das stimmt nicht …“
Schäfer wusste nichts zu erwidern.
„Mit Psychopharmaka muss man verantwortungsvoll umgehen, da … aber was rede ich … da müsstest du erst einmal im Lexikon unter V …“
„Sehr lustig … hast du überhaupt eine Ahnung, was ich … von meiner Arbeit?“
„Und was? Du kriegst sie tot, ich halbtot … hat dich wer gezwungen, das zu tun?
„Es sind nicht nur die Toten … es ist …“
Gut zehn Minuten schwiegen sie, hörten durch die offene Terrassentür eine einsame Grille balzen. Jakob stand auf. Als er mit einer Kanne frischen Tees wiederkam, schlief sein Bruder. Er beobachtete ihn eine Weile, legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Dann holte er den Laptop seines Bruders und setzte sich damit auf die Terrasse.
„Diese Anke … weißt du was Genaueres über die?“
„Haben wir nicht und kriegen wir so schnell auch nicht wieder herein …“
„Was? Heho, wach auf … im Hause Schäfer begrüßt man den Morgen dankbar und schaffensfroh …“
„Kaffe?“ Schäfer rappelt sich auf, warf die Wolldecke ab, die ihm sein Bruder offenbar übergelegt hatte, und wankte ihn die Küche.
„Also, diese Anke …“, wiederholte sein Bruder, als Schäfer mit zwei Tassen wiederkam.
„Welche Anke?“
„Anke Gerngross … die Kastor viermal besucht hat …“
Schäfer sah seinen Bruder begriffsstutzig an.
„Wovon redest du überhaupt?“
„Ich habe mir in der Nacht angesehen, woran du arbeitest … selber sagst du ja nichts … eh nur die letzten geöffneten Dokumente …“
„Und?“
„Jessas, dass du überhaupt irgendwen jemals verhaftest, wundert mich immer wieder … bei seiner Vernehmung erwähnt Kastor eine Anke … dass die damit nichts zu tun hat … und auf der Besucherliste vom Gefängnis scheint viermal eine Anke Gerngross auf … ich kenne den Namen …“
„Ach“, Schäfer kehrte langsam in die Realität zurück, „und woher?“
„Von der Beerdigung … Bienenfeld … da war eine Frau, die, glaube ich, Anke Gerngross geheißen
Weitere Kostenlose Bücher