Der bessere Mensch
Portionen vor allem bei Bauarbeitern sehr beliebt war. Er setzte sich zu drei Männern in zementverkrusteten Overalls und bestellte das Mittagsmenü. Einmal im Monat besuchte er dieses Lokal, dessen Atmosphäre ihn so gut wie immer in eine angenehm dumpfe Gelassenheit gleiten ließ. Die wenigen Sätze, die die Männer wechselten, das genüssliche Schmatzen und Schlürfen, es hatte etwas von einem Kuhstall, in dem sich zur Essenszeit niemand aus der Ruhe bringen ließ. Während sich Schäfer über den Schweinsbraten hermachte, musste er an seine Großmutter denken. Sie hätte ihm die Ohren ausgerissen, wenn er in ihrer Gegenwart einmal so unmanierlich geschlemmt hätte. ’tschuldigung, Oma, dachte er, aber manchmal muss ich ein Tier sein.
Er verlangte die Rechnung, gab ein ordentliches Trinkgeld und beschloss, zu Fuß ins Kommissariat zu gehen, um dem drohenden Übergewicht wenigstens ein paar Kilometer voraus zu sein.
Dusini hatte ihm die Unterlagen über alle Hostessen gegeben, die in den letzten beiden Jahren mit Born in Kontakt gestanden hatten. Die Frauen arbeiteten als selbständige Unternehmerinnen und wurden über „Joys’r’us“ nur vermittelt, ohne dass die Chefin einen genauen Einblick hatte, was in der Beziehung zum jeweiligen Kunden vor sich ging – wobei ihre Firma sich natürlich zur Einhaltung sowohl der Gesetze als auch gewisser moralischer Grundstandards verpflichtete. Man konnte sich also keine Kinder, keine geistig Behinderten und keine Ziegen ausleihen, mutmaßte Schäfer – das war doch immerhin schon etwas.
Mit einem Auge auf die Fußgänger und Fahrradfahrer, überflog er die Personaldaten von Borns Hostessen. Er stellte sich in den Schatten einer Kastanie und gab die Nummer des Mobiltelefons ein, die neben „Kanika Müller“ stand. Die Mailbox. Hoffentlich ist die nicht ebenfalls abgetaucht, dachte Schäfer. Bergmanns Sprachkenntnisse in Ehren … aber Afrika … er rief im Kommissariat an und verlangte Leitner. Kanika Müller, alles prüfen, was der Computer über sie hergibt. Schäfer ging weiter und sah sich die Bilder der Frauen an: Schwarz wie Erdöl war Born offensichtlich am liebsten gewesen, dazu rundliche Gesichter und ein kräftiger bis korpulenter Körper. Schäfer sah sich die drei Frauen an, die Born am öftesten zu sich geladen hatte, darunter auch besagte Kanika: dralle und über das ganze Gesicht lachende Afrikanerinnen – in einem Film über die Sklavenzeit gäben sie hervorragende Köchinnen und Kindermädchen in den Häusern betuchter Kolonialherren ab. Ich möchte zu gern wissen, welches Verhältnis Born zu seiner Mutter hatte, sagte sich Schäfer und klemmte den Schnellhefter unter den Arm, nachdem er fast in eine Straßenbahn gelaufen wäre.
Im Kommissariat suchte er als Erstes Leitner auf. Kanika Müller war als Studentin der Architektur eingetragen, gemeldet in einer Wohngemeinschaft im zweiundzwanzigsten Bezirk.
„Irgendeine Telefonnummer?“
„Die Maschine brummt schon …“
„Also dann“, meinte Schäfer und rieb sich die Hände, während er neben dem Drucker wartete, „auf in die Donaustadt.“
Ein Hochhaus in Kaisermühlen, Betonbrutalität, dachte Schäfer und lief zur Haustür, aus der eben eine alte Frau kam. Mit dem Lift gelangten sie in den elften Stock. Dreimal läuteten sie, klopften heftig gegen die Tür und forderten die in der Wohnung An- oder Abwesenden auf, ihnen zu öffnen. Während Leitner das Ohr an die Tür presste, setzte sich Schäfer auf die Stiegen und rief eine der Mitbewohnerinnen an, die sich sofort meldete. Er erklärte ihr, dass sie umgehend mit Kanika sprechen müssten. Nein, sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen; es ginge um eine wichtige Auskunft, möglicherweise sei sie auch in Gefahr. Worauf die Mitbewohnerin ihr misstrauisches Zögern ablegte und besorgt meinte, dass sie Kanika schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen habe. Sie habe nur einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass sie mit einem Freund auf Urlaub fahre. Und da sie ihre letzten Semesterprüfungen bereits absolviert hatte, sei sie zwar verwundert über die spontane Entscheidung gewesen, habe sich aber dann keine weiteren Gedanken gemacht. Ob sie gewusst habe, dass Kanika als Hostess für einen Escortservice arbeitete, wollte Schäfer wissen. Ja, sie habe einmal so etwas erwähnt. Dass sie sich etwas dazuverdiente, indem sie sich von älteren Männern zum Essen einladen ließ und manchmal auch mit ihnen schlief.
„Auch wenn es Ihnen
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