Der bessere Mensch
von dem er nicht sicher wusste, dass es der Gesuchte war. Stattdessen feuerte er zweimal in die Luft und setzte der flüchtenden Gestalt nach. Kurz vor einem Anstieg brach Schäfer durchs Unterholz, blieb in vollem Lauf mit einem Bein an einer Wurzel hängen und hörte im Fallen das Reißen seiner Knöchelsehne. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen, der Schmerz war so heftig, dass er sich beim Versuch, aufzustehen, über seine Uniform erbrach. Verdammt, wo war sein Gewehr? Er zog seine Glock, versuchte trotz des Schmerzes aufzustehen … er brach zusammen, dabei löste sich ein Schuss aus seiner eigenen Waffe und traf ihn in den Oberschenkel. Mit einem lauten Schrei fiel er auf den Waldboden, die Baumwipfel über ihm wurden unscharf. Dann stand er vor ihm. Gelassen, mit dem ihm eigenen emotionslosen Blick, in der Hand die Dienstwaffe, die er dem jungen Gendarmen in Oberösterreich entwendet hatte. Bevor er ihn ermordet hatte, ging es Schäfer durch den Kopf, der nun den Blick senkte und den tödlichen Schuss erwartete. Wie lange, wusste er im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Dreißig Sekunden? Zehn Minuten? Als er wieder aufblickte, war der Mann verschwunden. Und Schäfer blieb einfach im Unterholz liegen, bis ein Kollege auf ihn stieß und ihn zur Straße schleppte. Das wird schon wieder, munterten sie ihn auf und warteten ungeduldig auf den Krankenwagen. Am Tag nach der Begegnung im Wald setzte sich der Mehrfachmörder in einem nahe gelegenen Bootshaus die Pistole an die Stirn und drückte ab.
Verdammt, ich fange wieder zu rauchen an, murrte Schäfer und stand auf. In seiner Hausapotheke suchte er nach den Beruhigungstabletten, die ihm der Arzt voriges Jahr verschrieben hatte. Drückte eine aus der Verpackung und ging in die Küche. Er schluckte die Tablette, trank einen halben Liter Wasser und legte sich auf die Couch, das Licht ließ er an. Zwei Stunden später war er wach. Die schwüle Luft, viel zu wenig Sauerstoff im Raum. Er stand auf und ging auf den Balkon. Am Himmel ein einziger Stern, der sich der Morgensonne noch nicht ergeben hatte. Die Amseln stimmten sich ein. Begannen zu lärmen wie Autoalarmanlagen, die Helium geschluckt hatten. Schäfer ging in die Küche und schaltete die Espressomaschine ein.
18.
Punkt sieben stand Schäfer in der unfallchirurgischen Abteilung des AKH und stritt mit einer Krankenschwester, die ihn ohne Absprache mit dem diensthabenden Arzt nicht zu Bergmann lassen wollte. Grundsätzlich musste er ihr recht geben – je gewissenhafter sein Assistent abgeschirmt wurde, desto besser. Doch schließlich war er nicht irgendwer. Er war Bergmanns Partner, sein Leitstern, sein Don Quijote. Die Pflegerin schaute ihn verunsichert an und meinte, dass sie den Oberarzt ausnahmsweise aus der Morgenbesprechung holen würde. Kaum war sie um die Ecke verschwunden, sah sich Schäfer die Namenstafeln an den Zimmern an, bis er fündig wurde.
„Bergmann!“ Schäfer wischte sich über die Augen.
„Was lärmen Sie da herum, Sie Klugscheißer, Sie!“, erwiderte Bergmann keuchend und drehte den Kopf zur Seite, „kann man nicht einmal im Krankenhaus seine Ruhe vor Ihnen haben?!“
„Ähm“, meinte Schäfer verunsichert und trat näher an Bergmann heran, „Sie sind’s, oder?“
„Wer denn sonst? Hat sonst noch wer zwei Kugeln eingefangen, hä? Und wegen wem, ha, wegen wem? … Was ist denn jetzt los … oje, jetzt muss ich auch noch scheißen!“
„Schon gut“, erwiderte Schäfer verunsichert und ging langsam zur Tür, „ich rufe die Schwester.“
„Und machen Sie verdammt noch mal das Fenster zu, wenn Sie die Klimaanlage im Büro einschalten!“, rief ihm Bergmann nach.
Verstört trat Schäfer auf den Gang hinaus und sah die Krankenschwester von vorhin mit einem Arzt in seine Richtung kommen.
„Was ist los mit ihm?“, fragte er den Chirurgen.
„Inwiefern? Er hat die Operation gut überstanden …“
„Aber er redet wirres Zeug … solche Sachen würde Bergmann nie sagen …“
„Die Nachwirkungen der Narkose“, klärte ihn der Arzt auf, „manchmal setzt sie im Gehirn bestimmte Hemmmechanismen außer Kraft. Deshalb warten wir mit einer Besuchserlaubnis auch immer, bis sich der Zustand des Patienten wieder normalisiert hat. Um ihm zu ersparen, dass ihm sein Verhalten im Nachhinein unangenehm ist.“
„Ich bin selber schon operiert worden und habe mich nie so benommen …“
„Glück für Sie … oder für die anderen. Aber erstaunlicherweise sind es gerade die
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