Der bessere Mensch
hat mir erzählt, dass …“
„Ach … eine Waffe vor Augen, nichts, was mich umbringt … brauchen Sie eigentlich irgendwas? Obst, was zum Lesen …“
„Wenn es Ihnen ausgeht, wäre ein Buch gut … irgendwas Anspruchsloses …“
„Paulo Coelho vielleicht …“
„Ja, unbedingt, den alten Sabberer … wie wär’s mit Faulkner, ‚Als ich im Sterben lag‘ …“ Bergmann lächelte, was einen Husten auslöste, der selbst Schäfer wehtat.
„Entschuldigung … ich werde schon was finden … na dann …“, meinte er, stand auf und schaffte es, seine Hand auf Bergmanns Arm zu legen.
„Wiedersehen … danke, dass Sie da waren … und sagen Sie den Kollegen bitte, dass ich noch zu schwach für Besuche bin … ich will nicht, dass die mich alle so sehen …“
„Eitler Geck … ich werde es ausrichten.“
Da die Gerichtsmedizin immer noch keine fixe Bleibe hatte und sich momentan in der pathologischen Abteilung des AKH befand, beschloss Schäfer, seinem Freund Koller einen Besuch abzustatten. Er nahm den Lift ins erste Untergeschoss und ging den gespenstisch beleuchteten Gang entlang, bis er zur richtigen Tür kam.
Koller stand über Mladics Leiche gebeugt, deren Brustkorb offen lag, und hielt seinem mit offenem Mund dastehenden Schüler Föhring einen Vortrag, dem Schäfer naturgemäß nicht folgen konnte.
„Schönen Tag“, begrüßte er die beiden, worauf Koller die Brille abnahm und sich aufrichtete.
„Schäfer“, sagte er nach ein paar Sekunden, die er gebraucht hatte, um den Besucher zu erkennen, „du kommst herein und gibst keinen dämlichen Kommentar ab? Was ist los mit dir?“
„Sensibilität und Menschlichkeit.“
„Jaja, deine Sensibilität am Arsch … wahrscheinlich hat dir die Dienstaufsicht wieder eins draufgegeben … was willst du … wir sind noch nicht fertig.“
Schäfer überlegte kurz, ob er in den gewohnten Ton wechseln sollte, den er mit Koller pflegte.
„Ich war bei Bergmann oben und da habe ich mir gedacht: Schauen wir mal nach, wie es meinem Freund Koller geht …“
„Wie geht’s ihm?“, wollte Koller wissen, der seine sprachliche Rüstung nun ebenfalls für einen Moment ablegte.
„Besser … müde ist er … aber das wird schon. Wie sieht’s bei euch aus?“
„Was ich dir schon sagen kann, ist, dass Mladic bereits am späten Nachmittag erschossen worden ist. Die Säure wahrscheinlich zwei, drei Stunden später … “
„Das verstehe ich nicht … soll das heißen, dass der Täter so lange in der Wohnung geblieben ist?“
„Das musst du herausfinden … ich gebe dir nur die medizinischen Fakten …“
„Was ist mit dem Projektil?“
„Ist schon im Labor.“
„Gut“, meinte Schäfer, nachdem Koller sich wieder über die Leiche gebeugt hatte, „danke dir … bis bald.“
„Pass auf dich auf, Sensibelchen!“, rief ihm Koller nach, als Schäfer schon mit einem Fuß im Gang stand.
Ich brauche die Ergebnisse der Spurensicherung, dachte er, während er durch den neunten Bezirk stadteinwärts ging, da er auf dem Weg eine gute Buchhandlung wusste. Dass der nach dem Mord nicht sofort verschwindet, ergibt keinen Sinn. Zumal er mit Mladic keine weiteren Rituale vollzogen hat. Aber er ist bei seinem Opfer geblieben … wenn das stimmt, müssen wir den Psychiater noch einmal einbeziehen … das ist ein neues Muster … könnte wichtig sein.
19.
Am frühen Abend des folgenden Tages trafen die vorläufigen Berichte der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin ein. Von Koller gab es nicht viel Neues: Todesursache war der Schuss ins Herz, Zeitpunkt des Todes zwischen 17:15 und 17:30 Uhr – eine überdurchschnittlich genaue Angabe, wie Schäfer fand. Dann erinnerte er sich an Mladics Telefonat mit Kamp, das kurz nach fünf stattgefunden und Koller wohl geholfen hatte, den Zeitraum einzuengen. Warum sich der Täter drei Stunden später immer noch in der Wohnung aufhielt, war dadurch freilich auch nicht zu erklären. Immerhin ließ Mladics Blutalkoholgehalt die Theorie bezüglich seiner Sprachverwirrung plausibel erscheinen: 2,3 Promille – vielleicht hatte er versucht, seiner Panik mithilfe von Schnaps Herr zu werden; vielleicht hatte er aber auch mit einem Bekannten gezecht, das würden sie überprüfen.
Aufschlussreicher waren die vorläufigen forensischen Ergebnisse: An der frei stehenden Anrichte, hinter der sich der Täter nach Schäfers Vermutung versteckt hatte, hatten sie schwarze Textilfasern und mehrere Haare gefunden. Wieso an der Anrichte?
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