Der bessere Mensch
Fallen hörte er drei Schüsse, zwei Waffen, eine mit einem Schalldämpfer versehen, die andere Bergmanns Glock. Als Schäfer sich auf dem unteren Treppenabsatz benommen aufrichten wollte, sah er zuerst ein Paar schwarze Schnürstiefel. Langsam hob er den Kopf. Dann blickte er in den Lauf einer Waffe, weiter oben zwei Augen, die ihn aus einer schwarzen Sturmhaube ansahen. Verdammt, was ist mit Bergmann … wahrscheinlich war es die Sorge um seinen Assistenten, die Schäfer in diesem Moment keine Angst um sein eigenes Leben empfinden ließ.
„Verschwinden Sie“, sagte er zu der vermummten Gestalt, die wie eine Statue vor ihm stand und die Pistole immer noch unbewegt auf seine Stirn gerichtet hielt, obwohl Schäfer an der linken Schulter ein Einschussloch sah, um das sich ein feuchter Kreis ausbreitete.
Als hätte der Mann nur auf dieses Kommando gewartet, löste sich plötzlich seine Körperspannung. Er sah kurz nach oben, dann noch einmal auf Schäfer hinunter und verschwand. Schäfer stand auf, ein heftiger Schmerz durchfuhr seine Hüfte. Scheiße, Scheiße, Scheiße, fluchte er und humpelte zu Mladics Wohnung hinauf. Nein, nein, nein, flehte er und kniete sich neben Bergmann hin. Er nahm sein Telefon und wählte den Notruf. Dann zerriss er sein Hemd und legte einen provisorischen Druckverband an.
„Sie haben ihn erwischt“, sagte er leise und legte seinem Assistenten die Hand auf die Stirn.
„Das erfüllt mich mit Stolz“, erwiderte Bergmann mit gebrochener Stimme, „ist er tot?“
„Noch nicht … jetzt kümmern wir uns erst mal um Sie.“
Schäfer begleitete die Sanitäter zum Krankenwagen und sah besorgt auf Bergmann hinab, der dank eines Schmerzmittels mit halb geöffneten Augen vor sich hin lächelte.
„Sehr gerne“, erwiderte der Notarzt auf Schäfers Drängen, Bergmann zu begleiten, „wenn Sie sich vor den OP setzen wollen, vor morgen früh wird er ohnehin nicht wach sein, und ihm wäre sicher mehr geholfen, wenn Sie denjenigen fassen, der auf ihn geschossen hat.“
Also stand Schäfer etwas unbeholfen im Gang, ließ sich von den Forensikern von einem Eck ins andere schieben und bemühte sich, Ordnung in seine Gedanken zu bekommen. Was war da eben passiert? Mladic tot, Bergmann schwer verletzt, nicht lebensgefährlich, wie ihm der Arzt versichert hatte, aber dennoch. Er hätte doch Verstärkung anfordern müssen; sofort, als ihm der Geruch aufgefallen war. Noch dazu, wo er das Haus unbewaffnet betreten hatte. Und dieser Mann; diese Augen, die auf ihn gerichtete Waffe, der blitzartige Rückzug …
„Was ist hier passiert?“, hörte er die Stimme von Kamp, der plötzlich neben ihm stand.
„Er hat auf Bergmann geschossen … hat aber selbst auch eine Kugel eingefangen …“
„Und Sie?“
„Ich bin in Ordnung …“
„Das habe ich nicht gemeint“, präzisierte Kamp, „haben Sie versucht, ihn aufzuhalten?“
„Nein … ich war unbewaffnet …“ Schäfers Knie begannen zu zittern, das Adrenalin baute sich ab, er setzte sich auf die Stiegen.
„Sie gehen ohne Waffe …“, hob Kamp die Stimme, beruhigte sich jedoch augenblicklich wieder, da er es ja gewesen war, der Schäfer in dieses Fiasko geschickt hatte. „Na gut … was wissen wir?“
„Die bisherige Täterbeschreibung trifft zu: eins fünfundachtzig, durchtrainiert … Schussleistung und gesamtes Verhalten passen zu Mesarics Aussage, dass es sich um jemanden mit einer Spezialausbildung oder krimineller Erfahrung handelt … er ist gefährlich, aber kontrolliert: Es wäre kein Problem gewesen, uns beide zu töten …“
„Ha, natürlich, der Schäfer wieder einmal“, Gerichtsmediziner Koller polterte in den Raum, „hast du eigentlich eine heimliche Vereinbarung mit dem Verbrechertum, um mich mit Wochenenddienst zu ärgern?“
„Leck mich am Arsch“, antwortete Schäfer müde, „das ist doch genau das, womit verkorkste Eremiten wie du die Zeit totschlagen …“
„Repetitio non semper placet, wie der Lateiner sagt“, tönte Koller und stellte seine Tasche ab.
„Ja … da hinten ist jemand, dem du deine staubigen Weisheiten widerspruchslos flüstern kannst.“ Schäfer machte eine Geste in Richtung des Stuhls, in dem Mladic lag.
„Geht’s?“, fragte Kamp und setzte sich neben Schäfer.
„Jaja …“
„Gut … lassen Sie sich nach Hause bringen … ich leite die Fahndung ein, Kovacs und Strasser sind auf dem Weg.“
Schäfer stand langsam auf und sah durchs Gangfenster auf die Straße hinab. Die
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