Der bessere Mensch
Möglicherweise haben sie sich das eine oder andere Mal geschäftlich getroffen, darüber hinausgehende Kontakte scheint es aber keine zu geben …“
„Dann gibt es natürlich noch den Zusammenhang über ‚Das Böse‘, wo wir im Internet zufällig auch auf Ihren Namen gestoßen sind …“
„Hören Sie zu grinsen auf, Bergmann … dieser Sache sind wir nachgegangen, weil das Motiv bislang in keiner persönlichen Verstrickung des Mörders mit seinen Opfern zu finden ist … dass die Beweggründe auf einer abstrakteren Ebene liegen, ist immer noch nicht auszuschließen … vor allem nach dem, was uns der Gerichtspsychiater gesagt hat … und auch mein Freund Goldmann. Der Täter gibt sich nicht damit zufrieden, seine Opfer zu töten, er will etwas vernichten, das über das Körperliche hinausgeht …“
„Das Gehirn ist aber auch körperlich …“
„Ja … klar … aber wenn jemand erschossen wird, stirbt das Gehirn kurz darauf sowieso ab … Goldmann hat übrigens eine interessante Parallele gebracht zu den Hexenverbrennungen und Vampirjägern … dass es in diesen Fällen auch nicht damit getan war, die Person zu töten. Es ging darum, das in ihr versammelte Böse auszulöschen …“
„Dann wundert es mich, dass er Sie am Leben gelassen hat …“
„Ganz sicher war er sich nicht, so lange, wie er die Waffe auf mich gerichtet hat …“
„Entschuldigung, das war … ich wollte nicht …“
Schäfer ging zum Fenster und sah auf den Park hinaus, wo eine Krankenschwester zwei ältere Männer in Bademänteln, die gerade rauchten, zurück in die Klinik scheuchte.
„Es gibt da etwas, das ich noch nie jemandem erzählt habe“, sagte er mit dem Rücken zu Bergmann.
„Lassen Sie mich davor noch einmal nach der Schwester läuten“, sagte Bergmann und drückte auf den Rufknopf.
Im Dunkel des Kastens tanzten Schäfer hellrote Kreise über die Netzhaut, quallenförmige Gebilde. Konnte er etwa in der Dunkelheit Moleküle sehen? Er atmete leise, stand still wie die Wache vor dem Buckingham Palace und lauschte, wann die Schwester das Zimmer verließe. Bergmann rief ihn heraus und sah ihn mit einem Im-Sommerlager-heimlich-zu-den-Mädchenunterkünften-Grinsen an. Jetzt schlagen wohl die Schmerzmittel zu, dachte Schäfer mit einem Blick auf die leere Infusionsflasche. Er rückte den Sessel wieder ans Bett heran, räusperte sich und begann zu erzählen.
Es bereitete ihm Mühe, die richtigen Worte zu finden für etwas, das er großteils als Bilder oder Emotionen gespeichert hatte. Bei einigen Details musste er sogar überlegen, ob sie sich überhaupt so zugetragen hatten oder ob sein Gehirn ihnen nach Gutdünken einen milderen oder dramatischeren Anstrich verlieh. Wer hätte denn damit gerechnet, dass aus dieser Erinnerungsmaische noch einmal ein klares Destillat werden sollte? Vielleicht waren zwanzig Minuten vergangen, seit er angefangen hatte, vielleicht auch vierzig oder eine ganze Stunde. Bergmann hatte die Augen geschlossen und Schäfer war sich sicher, dass er eingeschlafen war. Doch nach einem Augenblick Stille öffnete sein Assistent die Augen und sah ihn an.
„Interessant“, meinte er nur, was Schäfer, der das Gefühl hatte, sich das Herz herausgerissen zu haben, zusätzlich verletzte. Ein Ego te absolvo wäre das Mindeste gewesen, was er sich nach seiner Beichte erwartet hatte.
„Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?“
„Ich meine ja nicht diese Geschichte im Wald … Sie haben einen Mörder gejagt, dabei haben Sie sich den Fuß verletzt, haben sich selbst angeschossen … er hat Sie wider Erwarten am Leben gelassen, ja … das finde ich jetzt nicht so dramatisch … wir sind Polizisten und das gehört dazu … aber dass Sie sich jetzt, wo das erneut passiert, aufmachen und das erzählen, das ist interessant …“
„Warum?“, fragte Schäfer mürrisch.
„Seit ein paar Wochen sind Sie anders zu uns … offener … Sie nehmen mehr Anteil. Und, vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, aber seitdem arbeiten wir auch anders … also ich zumindest …“
„Ach, wirklich?“
„Habe ich Sie gekränkt?“
„Nein … schon gut … vielleicht hätte ich das nicht erzählen sollen …“
„Doch, genau darum geht es ja … dass Sie sich aufgemacht haben … und seitdem beginne ich plötzlich das zu verwerten, was ich in den letzten Jahren alles von Ihnen gelernt habe … ich beginne, anders zu denken … heute Vormittag habe ich mir zum Beispiel überlegt, ob es nicht möglich wäre, dass Kanika
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