Der beste Karlsson der Welt
zusammen und musterte Lillebror mißtrauisch.
«Das ist wieder Lindbergs Radio. Die bringen wohl jetzt irgendwas über alte Autos», stammelte Lillebror.
Onkel Julius hatte nichts gemerkt. Er saß in Gedanken versunken da und sah und hörte nichts. Fräulein Bock schenkte ihm Kaffee ein, und er streckte geistesabwesend die Hand nach einem Wecken aus. Kaum aber hatte er einen in der Hand, als eine andere Hand, eine kurze dicke, über die Tischkante langte und sich den Wecken schnappte. Und Onkel Julius merkte nichts. Er sann und sann ohne Aufhören, und erst als er die Hand in den heißen Kaffee tunkte, wachte er auf und merkte, daß da kein Wecken war, den er eintunken konnte. Er pustete auf die Hand und war ein bißchen ärgerlich, dann aber versank er wieder in Nachdenken.
«Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als man ahnt, das ist mir heute nacht aufgegangen», sagte er tiefernst. Gleichzeitig streckte er die Hand aus und nahm sich einen neuen Wecken. Da kroch von neuem eine kurze dicke Hand herauf und schnappte sich den Wecken. Onkel Julius aber merkte nichts, er sann und sann, und erst als er den Daumen in den Mund gesteckt und tüchtig zugebissen hatte, wachte er auf und merkte, daß da kein Wecken zum Hineinbeißen war. Jetzt wurde er wieder ärgerlich, aber offenbar war der neue Onkel Julius freundlicher als der alte, denn der Ärger verflog schnell. Onkel Julius versuchte nicht einmal, sich noch einen Wecken zu nehmen, sondern trank nur, tief in Gedanken versunken, seinen Kaffee.
Die Wecken wurden trotzdem alle gegessen. Einer nach dem anderen verschwanden sie aus dem Brotkorb, und nur Lillebror merkte, wo sie blieben. Er kicherte in sich hinein und reichte vorsichtig ein Glas Milch unter den Tisch, damit Karlsson die Wecken nicht allzu trocken hinunterzuwürgen brauchte.
Dies war es, was Karlsson immer «Wecken-Tirritierung» nannte. Fräulein Bock hatte es schon beim ersten Male, als sie bei ihnen war, erfahren müssen.
«Man kann Leute ganz kolossal tirritieren, man braucht nur einfach ihre Wecken aufzuessen», hatte Karlsson gesagt. O doch, er wußte, daß es eigentlich «irritieren» hieß, aber «tirritieren» klinge teuflischer, behauptete er.
Und nun hatte Karlsson eine neue teuflische Wecken-Tirritierung eingeleitet, obgleich Fräulein Bock es nicht begriff. Und Onkel Julius noch weniger. Er merkte nichts von einer Wecken-Tirritierung, so teuflisch sie auch war, er sann und sann nur immerfort. Plötzlich aber ergriff er Fräulein Bocks Hand und hielt sie ganz fest, so, als wollte er um Hilfe bitten.
«Ich muß mit irgendeinem Menschen darüber sprechen», sagte er. «Ich weiß es jetzt, Fräulein Bock, es waren keine Fieberphantasien, ich war nicht verwirrt, ich habe den Sandmann gesehen!»
Fräulein Bock sperrte die Augen weit auf.
«Ist das wirklich möglich?»
«Ja», sagte Onkel Julius. «Und deshalb bin ich nun ein neuer Mensch in einer neuen Welt. In der Märchenwelt, wissen Sie. Die hat sich mir heute nacht sperrangelweit aufgetan, Fräulein Bock. Wenn es nämlich den Sandmann tatsächlich gibt — weshalb sollte es dann nicht ebensogut Hexen und Trolle und Geister und Elfen und Wichtel und andere solche Mystikusse geben, von denen die Märchenbücher berichten?»
«Und wer weiß, vielleicht auch fliegende Spione», sagte Fräulein Bock vorsichtig, wie um sich lieb Kind zu machen, aber das war nicht nach Onkel Julius’ Sinn.
«Dummes Zeug», sagte er. «So ’n Mumpitz, den die Zeitungen verzapfen! Man sollte sich zu gut sein, so was zu glauben.»
Er beugte sich zu Fräulein Bock vor und blickte ihr tief in die Augen.
«Vergessen Sie eines nicht», sagte er. «Unsere Vorfahren glaubten an Trolle und Wichtel und Hexen und dergleichen mehr. Wie können wir uns da einbilden, daß es solche Mystikusse nicht gibt? Verstehen wir etwa mehr von diesen Dingen als unsere Vorfahren? Nein, bloß verbohrte Leute können so etwas Törichtes behaupten.»
Fräulein Bock wollte nicht verbohrt sein, und deshalb sagte sie, sicher gebe es mehr Hexen, als man ahnte, und wahrscheinlich auch eine ganze Menge Trolle und andere Mystikusse, wenn man sich umschaute und gründlich überlegte.
Nun mußte Onkel Julius aber von seinen Grübeleien lassen, denn er hatte sich beim Arzt angemeldet, und es war für ihn Zeit, sich auf den Weg zu machen. Lillebror geleitete ihn höflich auf den Flur hinaus, und das tat Fräulein Bock ebenfalls. Lillebror reichte ihm seinen Stock, und Fräulein Bock half ihm
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