Der Bestseller
Ich habe mal gehört, daß es nur zwei Gründe gibt zu schreiben: Geld und Ruhm. Von meiner Arbeit bezahlten wir die Rechnungen, aber seine Arbeit würde ihn berühmt machen — dachten wir jedenfalls.
Jedenfalls, um es kurz zu machen: Alex hat zwölf Jahre an einem Manuskript gearbeitet — er hat geschrieben und umgeschrieben und überarbeitet, bis er es schließlich gut genug fand, um es jemandem zu zeigen. Er hielt es für ein Meisterwerk. Er hatte von Parker Foxcroft und seinen Schützlingen gehört, und darum schickte er das Manuskript direkt an den berühmten Lektor.« Sie gab dem Wort »berühmten« einen deutlich bitteren Unterton. »Foxcroft schickte es zurück, zusammen mit einem dreiseitigen Brief, der keinen Zweifel daran ließ, was er von dem Buch meines Mannes hielt. >Ein armseliges Werk. Unausgegoren in der Konzeption, altweiberhaft in der Ausführung. Ich empfehle Ihnen, eine anderweitige nützliche Verwendung für dieses Manuskript zu finden; beispielsweise könnten Sie damit in Ihrem Kamin ein schönes Feuer entfachen.< Das war eine gemäßigte Passage, Mr. Barlow.«
Ich gestehe, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Ich war schockiert, ein wenig jedenfalls. Es gibt eine Menge schlechte Schriftsteller, aber meistens sagen wir es ihnen durch die Blume. Wozu ein Manuskript verreißen, das ohnehin schon sein eigenes Todesurteil gesprochen hat?
Judith Michaelson ersparte mir die Mühe, die passenden Worte zu finden. Mit einer vor mühsam beherrschter Wut bebenden Stimme fuhr sie fort: »Alex war am Boden zerstört. Er verfiel in eine tagelange Depression. Ich machte mir wirklich Sorgen um ihn.«
»Das kann ich verstehen.«
»Gar nichts verstehen Sie!« sagte sie. »Und dann...«
»Ja?«
»...und dann...« Sie senkte den Kopf und zog die Schultern nach vorn. Ihre Hände waren ineinander verkrampft, die Augen fest geschlossen. »Er hat sich umgebracht. Vor einem Monat, Mr. Barlow. Am 3. Mai.«
>Mein Gott!< dachte ich. >Oh, mein Gott!<
»Er hatte eine Pistole, und...« Sie konnte nicht weitersprechen. Sie brauchte nicht weiterzusprechen.
Wir saßen einige Augenblicke in schmerzlichem Schweigen da. Schließlich sprach Mrs. Michaelson weiter.
»Nun wissen Sie, warum ich Parker Foxcroft hasse, Mr. Barlow. Ohne ihn wäre mein Mann noch am Leben. Foxcroft hat Alex in den Tod getrieben. Das stand in seinem Abschiedsbrief — daß dieses Werk ihm alles bedeutete und daß er nichts mehr hatte, für das er leben wollte.«
»Mrs. Michaelson, Sie meinen doch nicht, daß...«
»Aber natürlich meine ich das, Mr. Barlow. Parker Foxcroft war allein verantwortlich für den Tod meines Mannes, so als hätte er selbst abgedrückt. Dieser Brief, sein Brief, hat Alex umgebracht.«
Es gab offenbar keine Möglichkeit, sie davon zu überzeugen, daß ein Selbstmord nie (oder vielleicht fast nie) auf ein einziges Ereignis, einen einzigen Grund zurückgeführt werden kann, also versuchte ich es gar nicht erst. Und was, wenn sie recht hatte und ihr Mann, nachdem er Parkers Brief gelesen hatte, tatsächlich nicht mehr hatte leben wollen? Was, wenn sein ganzes Selbstwertgefühl — diese wackelige Konstruktion, die bei den meisten von uns nur dazu dient, die Zweifel, Ängste und Ahnungen zu kaschieren, aus denen sie besteht — auf das Lob oder zumindest die Anerkennung eines Parker Foxcroft angewiesen war?
Ich spürte, daß ihre Tränen, wie der Dichter spricht, »gleich Tautropfen blinkten«, stammelte ein paar halbherzige (und wahrscheinlich ziemlich dumme) Entschuldigungen und erhob mich.
An der Tür reichte Judith Michaelson mir die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme, Mr. Barlow. Leider bin ich keine sehr gute Gastgeberin gewesen.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Mrs. Michaelson. Danke für den Tee.«
Ich verließ ihre Wohnung mit gemischten Gefühlen. Parker war zweifellos ein grausamer Mensch gewesen, aber wir leben und arbeiten nun einmal in einer grausamen Welt, und die Verlagsbranche hat ihre eigenen Grausamkeiten entwickelt. Zahllose Möchtegern-Schriftsteller bombardieren uns mit unpublizierbaren Manuskripten, die wir unweigerlich ablehnen, und diese Menschen halten uns bestenfalls für Dummköpfe, wahrscheinlich aber für grausame Richter, für Schüler des Marquis de Sade. Ich seufzte voller Mitgefühl für Judith Simon Michaelson und streifte mit demselben Seufzer alle Schuldgefühle ab, die ich wegen des Todes ihres Mannes hätte empfinden können. Und Parker? Für ihn
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