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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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so wird es einmal einer tun.
    DER BÜRGERMEISTER Sie sehen Gespenster.
    ILL Ich sehe einen Plan an der Wand. Das neue Stadthaus? Er tippt auf den Plan.
    DER BÜRGERMEISTER Mein Gott, planen wird man wohl noch dürfen.
    ILL Ihr spekuliert schon mit meinem Tod!
    DER BÜRGERMEISTER Lieber Mann, wenn ich als Politiker nicht mehr das Recht hätte, an eine bessere Zukunft zu glauben, ohne gleich an ein Verbrechen denken zu müssen, würde ich zurücktreten, da können Sie beruhigt sein.
    ILL Ihr habt mich schon zum Tode verurteilt.
    DER BÜRGERMEISTER Herr Ill!
    ILL leise Der Plan beweist es! Beweist es!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Onassis kommt. Der Herzog und die Herzogin. Aga.
    GATTE VIII Ali?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Der ganze Rivierakram.
    GATTE VIII Journalisten?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Aus der ganzen Welt. Wo ich heirate, ist immer die Presse dabei. Sie braucht mich, und ich brauche sie. Sie öffnet einen weiteren Brief. Vom Grafen Holk.
    GATTE VIII Hopsi, mußt du nun wirklich an unserem ersten gemeinsamen Morgenessen Briefe deiner ehe-maligen Gatten lesen?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich will die Übersicht nicht verlieren.
    GATTE VIII schmerzlich Ich habe doch auch Probleme. Er steht auf, starrt in das Städtchen hinunter.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Geht dein Porsche nicht?
    GATTE VIII So ein Kleinstädtchen bedrückt mich. Nun gut, die Linde rauscht, Vögel singen, der Brunnen plätschert, aber das taten sie schon vor einer halben Stunde. Es ist auch gar nichts los, weder mit der Natur noch mit den Bewohnern, alles tiefer, sorgloser Friede, Sattheit, Gemütlichkeit. Keine Größe, keine Tragik. Es fehlt die sittliche Bestimmung einer großen Zeit.

    Von links kommt der Pfarrer, ein Gewehr umgehängt. Er breitet über den Tisch, an dem vorher der Polizist saß, ein weißes Tuch mit einem schwarzen Kreuz, lehnt das Gewehr gegen die Wand des Hotels. Der Sigrist hilft ihm in den Talar. Dunkelheit.

    DER PFARRER Treten Sie ein, Ill, in die Sakristei.

    Ill kommt von links.

    DER PFARRER Es ist dunkel hier, doch kühl.
    ILL Ich will nicht stören, Herr Pfarrer.
    DER PFARRER Das Gotteshaus steht jedem offen. Er bemerkt den Blick Ills, der auf das Gewehr fällt.
    Wundern Sie sich über die Waffe nicht. Der schwarze Panther der Frau Zachanassian schleicht herum. Eben hier im Dachgestühl, dann im Konradsweilerwald und jetzt in der Peterschen Scheune.
    ILL Ich suche Hilfe.
    DER PFARRER Wovor?
    ILL Ich fürchte mich.
    DER PFARRER Fürchten? Wen?
    ILL Die Menschen.
    DER PFARRER Daß die Menschen Sie töten, Ill?
    ILL Sie jagen mich wie ein wildes Tier.
    DER PFARRER Man soll nicht die Menschen fürchten, sondern Gott, nicht den Tod des Leibes, den der Seele. Knöpfe den Talar hinten zu, Sigrist.
    Überall an den Wänden der Bühne werden die Güllener sichtbar, der Polizist zuerst, der Bürgermeister, die Vier, der Maler, der Lehrer, herumspähend, die Gewehre schußbereit, herumschleichend.

    ILL Es geht um mein Leben.
    DER PFARRER Um Ihr ewiges Leben.
    ILL Der Wohlstand steht auf.
    DER PFARRER Das Gespenst Ihres Gewissens.

    27
    ILL Die Leute sind fröhlich. Die Mädchen schmücken sich. Die Burschen tragen bunte Hemden. Die Stadt bereitet sich auf das Fest meiner Ermordung vor, und ich krepiere vor Entsetzen.
    DER PFARRER Positiv, nur positiv, was Sie durchmachen.
    ILL Es ist die Hölle.
    DER PFARRER Die Hölle liegt in Ihnen. Sie sind älter als ich und meinen die Menschen zu kennen, doch kennt man nur sich. Weil Sie ein Mädchen um Geld verraten haben, einst vor vielen Jahren, glauben Sie, auch die Menschen würden Sie nun um Geld verraten. Sie schließen von sich selbst auf andere.
    Nur allzu natürlich. Der Grund unserer Furcht liegt in unserem Herzen, liegt in unserer Sünde. Wenn Sie dies erkennen, besiegen Sie, was Sie quält, erhalten Waffen, dies zu vermögen.
    ILL Siemethofers haben sich eine Waschmaschine angeschafft.
    DER PFARRER Kümmern Sie sich nicht darum.
    ILL Auf Kredit.
    DER PFARRER Kümmern Sie sich um die Unsterblichkeit Ihrer Seele.
    ILL Stockers einen Fernsehapparat.
    DER PFARRER Beten Sie. Sigrist, das Beffchen.
    Der Sigrist bindet dem Pfarrer das Beffchen um.

    DER PFARRER Durchforschen Sie Ihr Gewissen. Gehen Sie den Weg der Reue, sonst entzündet die Welt Ihre Furcht immer wieder. Es ist der einzige Weg. Wir vermögen nichts anderes.
    Schweigen. Die Männer mit ihren Gewehren verschwinden wieder. Schatten an den Rändern der Bühne. Die Feuerglocke beginnt zu bimmeln.

    DER PFARRER Nun muß ich meines Amtes walten, Ill,

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