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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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muß taufen. Die Bibel, Sigrist, die Liturgie, das Psalmenbuch. Das Kindchen beginnt zu schreien, muß in Sicherheit gerückt werden, in den einzigen Schimmer, der unsere Welt erhellt.
    Eine zweite Glocke beginnt zu läuten.

    ILL Eine zweite Glocke?
    DER PFARRER Der Ton ist hervorragend. Nicht? Voll und kräftig. Positiv, nur positiv.
    ILL schreit auf Auch Sie, Pfarrer! Auch Sie!
    DER PFARRER wirft sich gegen Ill und umklammert ihn Flieh! Wir sind schwach, Christen und Heiden.
    Flieh, die Glocke dröhnt in Güllen, die Glocke des Verrats. Flieh, führe uns nicht in Versuchung, indem du bleibst.
    Es fallen zwei Schüsse. Ill sinkt zu Boden, der Pfarrer kauert bei ihm.

    DER PFARRER Flieh! Flieh!
    Ill erhebt sich, nimmt das Gewehr des Pfarrers, links ab.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Boby, man schießt.
    DER BUTLER In der Tat, gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Weshalb denn?
    DER BUTLER Der Panther ist entwichen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Hat man ihn getroffen?
    DER BUTLER Er liegt tot vor Ills Laden.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Schade um das Tierchen. Trauermarsch, Roby.

    Trauermarsch von der Gitarre gespielt.

    DER BUTLER Die Güllener versammeln sich, Ihnen ihr Beileid auszudrücken, gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Sollen sie.
    Der Butler ab. Von rechts kommt der Lehrer mit dem gemischten Chor.

    DER LEHRER Verehrte, gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Was wollen Sie denn, Lehrer von Güllen?

    28
    DER LEHRER Wir sind aus einer großen Gefahr errettet worden. Der schwarze Panther schlich unheilbrütend durch unsere Gassen. Doch wenn wir auch befreit aufatmen, so beklagen wir dennoch den Tod einer so kostbaren zoologischen Rarität. Die Tierwelt wird ärmer, wo Menschen hausen, wir übersehen keineswegs dieses tragische Dilemma. Wir möchten deshalb einen Choral anstimmen.
    Eine Trauerode, gnädige Frau. Komponiert von Heinrich Schütz.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Schön, stimmt diese Trauerode an.
    Der Lehrer beginnt zu dirigieren. Von rechts kommt Ill mit einem Gewehr.

    ILL Schweigt!
    Die Güllener schweigen erschrocken.

    ILL Dieser Trauergesang! Warum singt ihr diesen Trauergesang?
    DER LEHRER Aber Herr Ill, in Anbetracht des Todes des schwarzen Panthers -
    ILL Auf meinen Tod übt ihr dieses Lied, auf meinen Tod!
    DER BÜRGERMEISTER Herr Ill, ich muß doch sehr bitten.
    ILL Packt euch fort! Schert euch nach Hause!
    Die Güllener verziehen sich.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Fahr etwas mit deinem Porsche aus, Hoby.
    GATTE VIII Aber Hopsi -
    CLAIRE ZACHANASSIAN Verschwinde!
    Gatte ab.

    ILL Klara!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Alfred! Warum störst du denn die Leutchen?
    ILL Ich fürchte mich, Klara.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Aber es ist freundlich von dir. Ich mag dieses ewige Gesinge nicht. Schon in der Schule war es mir verhaßt. Weißt du noch, Alfred, wie wir beide in den Konradsweilerwald liefen, wenn der gemischte Chor auf dem Rathausplatz übte und die Blasmusik?
    ILL Klara. Sag doch, daß du Komödie spielst, daß dies alles nicht wahr ist, was du verlangst. Sag es doch!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Wie seltsam, Alfred. Diese Erinnerungen. Ich war auch auf einem Balkon, damals, als wir uns zum ersten Male sahen, es war ein Herbstabend wie jetzt, die Luft ohne Bewegung, nur hin und wieder ein Rascheln in den Bäumen im Stadtpark, heiß, wie es vielleicht jetzt auch heiß ist, aber mich friert es ja immer in der letzten Zeit. Und du standst da und du schautest hinauf zu mir, immerzu. Ich war verlegen und wußte nicht, was tun. Ich wollte hineingehen ins dunkle Zimmer und konnte nicht hineingehen.
    ILL Ich bin verzweifelt. Ich bin zu allem fähig. Ich warne dich, Klara. Ich bin zu allem entschlossen, wenn du jetzt nicht sagst, daß alles nur ein Spaß ist, ein grausamer Spaß. Er richtet das Gewehr auf sie.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Und du gingst nicht weiter, unten auf der Straße. Du starrtest zu mir herauf, fast finster, fast böse, als wolltest du mir ein Leid antun, und dennoch waren deine Augen voll Liebe.
    Ill läßt das Gewehr sinken.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Und zwei Burschen standen neben dir, Koby und Loby. Sie grinsten, da sie sahen, wie du zu mir hinaufstarrtest. Und dann verließ ich den Balkon und kam hinunter zu dir. Du hast mich nicht gegrüßt, du sagtest kein Wort zu mir, aber du hast meine Hand genommen, und so sind wir aus dem Städtchen gegangen, in die Felder hinein, und hinter uns wie zwei Hunde Koby und Loby. Und dann hast du Steine genommen vom Boden und nach ihnen geworfen, und sie sind jaulend in die Stadt zurückgerannt, und wir waren

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