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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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TOCHTER Habe einige Stunden genommen.
    ILL Morgens früh, nicht wahr? Statt aufs Arbeitsamt zu gehen?
    DIE TOCHTER Alle spielen Tennis von meinen Freundinnen.

    Schweigen.

    ILL Ich habe dich in einem Wagen gesehen, Karl, vom Zimmer aus.
    DER SOHN Nur ein Opel Olympia, die sind nicht so teuer.
    ILL Wann lerntest du fahren?

    Schweigen.

    ILL Statt Arbeit zu suchen beim Bahnhof in der prallen Sonne?
    DER SOHN Manchmal. Der Sohn trägt verlegen das kleine Faß nach rechts hinaus, auf dem der Lehrer gesessen hat.
    ILL Ich suchte meine Sonntagskleider. Dabei fand ich einen Pelzmantel.
    FRAU ILL Zur Ansicht.

    Schweigen.

    FRAU ILL Alle machen Schulden, Fredi. Nur du bist hysterisch. Deine Furcht ist einfach lächerlich. Es ist doch klar, daß sich die Sache friedlich arrangiert, ohne daß dir auch nur ein Haar gekrümmt wird.
    Klärchen geht nicht aufs Ganze, ich kenne es, da hat es ein zu gutes Herz.
    DIE TOCHTER Bestimmt, Vater.
    DER SOHN Das mußt du doch einsehen.

    Schweigen.

    ILL langsam Es ist Sonnabend. Ich möchte mit deinem Wagen fahren, Karl, ein einziges Mal. Mit unserem Wagen.
    DER SOHN unsicher Du willst?
    ILL Zieht eure guten Kleider an. Wir wollen miteinander fahren.
    FRAU ILL unsicher Ich soll auch mitfahren? Das schickt sich doch nicht.
    ILL Warum soll sich dies nicht schicken? Zieh deinen Pelzmantel an, da wird er eingeweiht bei dieser Gelegenheit. Ich mache unterdessen die Kasse.

    Frau und Tochter gehen nach rechts hinaus, der Sohn nach links, Ill beschäftigt sich mit der Kasse.
    Von links kommt der Bürgermeister mit dem Gewehr.

    DER BÜRGERMEISTER Guten Abend, Ill. Lassen Sie sich nicht stören. Ich schaue nur schnell bei Ihnen herein.
    ILL Aber bitte.

    Schweigen.

    DER BÜRGERMEISTER Ich bringe ein Gewehr.
    ILL Danke.

    40
    DER BÜRGERMEISTER Es ist geladen.
    ILL Ich brauche es nicht.

    Der Bürgermeister lehnt das Gewehr an den Ladentisch.

    DER BÜRGERMEISTER Heute abend ist Gemeindeversammlung. Im Goldenen Apostel. Im Theatersaal.
    ILL Ich komme.
    DER BÜRGERMEISTER Alle kommen. Wir behandeln Ihren Fall. Wir sind in einer gewissen Zwangslage.
    ILL Finde ich auch.
    DER BÜRGERMEISTER Man wird den Vorschlag ablehnen.
    ILL Möglich.
    DER BÜRGERMEISTER Man kann sich freilich irren.
    ILL Freilich.
    Schweigen.

    DER BÜRGERMEISTER vorsichtig In diesem Fall, würden Sie den Urteilsspruch annehmen, Ill? Die Presse ist nämlich dabei.
    ILL Die Presse?
    DER BÜRGERMEISTER Auch der Rundfunk, das Fernsehen, die Filmwochenschau. Eine heikle Situation, nicht nur für Sie, auch für uns, glauben Sie mir. Als Heimatstädtchen der Dame und durch ihre Heirat im Münster sind wir so bekannt geworden, daß eine Reportage über unsere alten demokratischen Einrichtungen gemacht wird.
    ILL beschäftigt sich mit der Kasse Sie geben den Vorschlag der Dame nicht öffentlich bekannt?
    DER BÜRGERMEISTER Nicht direkt - nur die Eingeweihten werden den Sinn der Verhandlung verstehen.
    ILL Daß es um mein Leben geht.
    Schweigen.

    DER BÜRGERMEISTER Ich orientiere die Presse dahin, daß - möglicherweise - Frau Zachanassian eine Stiftung errichten werde und daß Sie, Ill, diese Stiftung vermittelt hätten als ihr Jugendfreund. Daß Sie dies waren, ist ja nun bekannt geworden. Damit sind Sie rein äußerlich reingewaschen, was sich auch ereignet.
    ILL Das ist lieb von Ihnen.
    DER BÜRGERMEISTER Ich tat es nicht Ihnen, sondern Ihrer kreuzbraven, ehrlichen Familie zuliebe, offen gestanden.
    ILL Begreife.
    DER BÜRGERMEISTER Wir spielen ein faires Spiel, das müssen Sie zugeben. Sie haben bis jetzt geschwiegen. Gut. Doch werden Sie auch weiterhin schweigen? Wenn Sie reden wollen, müssen wir das Ganze eben ohne Gemeindeversammlung machen.
    ILL Verstehe.
    DER BÜRGERMEISTER Nun?
    ILL Ich bin froh, eine offene Drohung zu hören.
    DER BÜRGERMEISTER Ich drohe Ihnen nicht, Ill, Sie drohen uns. Wenn Sie reden, müssen wir dann eben auch handeln. Vorher.
    ILL Ich schweige.
    DER BÜRGERMEISTER Wie der Beschluß der Versammlung auch ausfällt?
    ILL Ich nehme ihn an.
    DER BÜRGERMEISTER Schön.
    Schweigen.

    DER BÜRGERMEISTER Daß Sie sich dem Gemeindegericht unterziehen, freut mich, Ill. Ein gewisses Ehrgefühl glimmt noch in Ihnen. Aber wäre es nicht besser, wenn wir dieses Gemeindegericht gar nicht erst versammeln müßten?
    ILL Was wollen Sie damit sagen?
    DER BÜRGERMEISTER Sie sagten vorhin, Sie hätten das Gewehr nicht nötig. Vielleicht haben Sie es nun trotzdem nötig.

    Schweigen.

    41
    DER BÜRGERMEISTER Wir könnten

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