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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Onkelchen?
    PRESSEMANN II Alles.
    DER MALER Verflucht.

    36
    Stille.

    PRESSEMANN II Claire Zachanassian und der Besitzer dieses Ladens hätten sich vor mehr als vierzig Jahren beinahe geheiratet. Stimmt's?
    Schweigen.

    FRAU ILL Stimmt.
    PRESSEMANN II Herr Ill?
    FRAU ILL In Kalberstadt.
    ALLE In Kalberstadt.
    PRESSEMANN I Wir können uns die Romanze vorstellen: Herr Ill und Claire Zachanassian wachsen zusammen auf, sind vielleicht Nachbarskinder, gehen gemeinsam in die Schule, Spaziergänge in den Wald, die ersten Küsse und so weiter, bis Herr Ill Sie kennen lernt, gute Frau, als das Neue, das Ungewohnte, als die Leidenschaft.
    FRAU ILL Es ist genau so passiert, wie Sie es erzählen.
    PRESSEMANN I Claire Zachanassian begreift, verzichtet auf ihre stille, edle Art, und Sie heiraten -
    FRAU ILL Aus Liebe.
    DIE ANDEREN GÜLLENER erleichtert Aus Liebe.
    PRESSEMANN I Aus Liebe.
    Die beiden Pressemänner schreiben gleichgültig in ihre Notizbücher. Von rechts kommen die beiden Eunuchen, von Roby am Ohr geführt.

    DIE BEIDEN jammernd Wir wollen nichts mehr erzählen, wir wollen nichts mehr erzählen.
    Sie werden nach dem Hintergrund gebracht, wo sie Toby mit einer Peitsche erwartet.

    DIE BEIDEN Nicht zu Toby, nicht zu Toby!
    PRESSEMANN II Ihr Mann, Frau Ill, ist er nicht hin und wieder, ich meine, es wäre schließlich menschlich, wenn es ihn hin und wieder reuen würde.
    FRAU ILL Geld allein macht nicht glücklich.
    PRESSEMANN II Nicht glücklich.
    Der Sohn kommt von links. In einer Wildlederjacke.

    FRAU ILL Unser Sohn Karl.
    PRESSEMANN I Ein prächtiger junger Mann.
    PRESSEMANN II Weiß er Bescheid über die Beziehungen ...
    FRAU ILL Wir kennen keine Geheimnisse in unserer Familie. Mein Mann sagt immer: Was Gott weiß, sollen auch unsere Kinder wissen.
    PRESSEMANN I Gott weiß.
    PRESSEMANN II Kinder wissen.

    Die Tochter betritt den Laden im Tenniskostüm, einen Tennisschläger in der Hand.

    FRAU ILL Unsere Tochter Ottilie.
    PRESSEMANN II Charmant.

    Nun rafft sich der Lehrer auf.

    DER LEHRER Güllener. Ich bin euer alter Lehrer. Ich habe still meinen Steinhäger getrunken und zu alledem geschwiegen. Doch nun will ich eine Rede halten, vom Besuch der alten Dame in Güllen. Er klettert auf das Fäßchen, das noch von der Peterschen Scheune übriggeblieben ist.
    DER ERSTE Verrückt geworden?
    DER ZWEITE Aufhören.
    DER DRITTE. Runter vom Faß!
    DER LEHRER Güllener! Ich will die Wahrheit verkünden, auch wenn unsere Armut ewig währen sollte!

    37
    FRAU ILI. Sie sind betrunken, Herr Lehrer. Sie sollten sich schämen!
    DER LEHRER Schämen? Du solltest dich schämen, Weib, denn du schickst dich an, deinen Gatten zu verraten!
    DER SOHN Maul halten!
    DER VIERTE Raus!
    DER LEHRER Das Verhängnis ist bedenklich gediehen! Wie beim Ödipus: angeschwollen wie eine Kröte!
    DIE TOCHTER flehend Herr Lehrer!
    DER LEHRER Du enttäuschest mich, Töchterchen. Es wäre an dir zu reden, und nun muß es dein alter Lehrer tun mit Donnerstimme!
    DER MALER reißt ihn vom Faß Du willst mir wohl meine künstlerische Chance zerstören! Einen Christus habe ich gemalt, einen Christus!
    DER LEHRER Ich protestiere! Angesichts der Weltöffentlichkeit! Ungeheuerliche Dinge bereiten sich vor in Güllen!

    Die Güllener stürzen sich auf ihn, doch kommt in diesem Augenblick Ill von rechts in alten zerschlissenen Kleidern.

    ILL Was ist los in meinem Laden?

    Die Güllener lassen vom Lehrer und starren Ill erschocken an. Totenstille.

    DER LEHRER Die Wahrheit, Ill. Ich erzähle den Herren von der Presse die Wahrheit. Wie ein Erzengel erzähle ich, mit tönender Stimme. Er schwankt. Denn ich bin ein Humanist, ein Freund der alten Griechen, ein Bewunderer Platos.
    ILL Schweigen Sie.
    DER LEHRER Aber die Menschlichkeit –
    ILL Setzen Sie sich.

    Schweigen.

    DER LEHRER ernüchtert Setzen. Die Menschlichkeit soll sich setzen. Bitte - wenn auch Sie die Wahrheit verraten. Er setzt sich taumelnd auf das Faß.
    ILL Verzeihen Sie. Der Mann ist betrunken.
    PRESSEMANN I Herr Ill?
    ILL Was wollen Sie von mir?
    PRESSEMANN I Wir sind glücklich, daß wir Sie nun doch treffen. Brauchen einige Aufnahmen. Dürfen wir bitten? Er schaut sich um. Lebensmittel, Haushaltgegenstände, Eisenwaren - Am besten: Verkaufen Sie das Beil.
    ILL zögernd Das Beil?
    PRESSEMANN I Dem Metzger. Er hat es ja schon in der Hand. Geben Sie das Mordinstrument mal her, guter Mann. Er nimmt dem Ersten das Beil aus der Hand. Demonstriert Sie nehmen das Beil, wiegen es in der Hand, machen

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