Der Besuch der alten Dame
dann der Dame sagen, wir hätten Sie abgeurteilt, und erhielten das Geld auch so. Es hat mich Nächte gekostet, diesen Vorschlag zu machen, das können Sie glauben. Es wäre doch nun eigentlich Ihre Pflicht, mit Ihrem Leben Schluß zu machen, als Ehrenmann die
Konsequenzen zu ziehen, finden Sie nicht? Schon aus Gemeinschaftsgefühl, aus Liebe zur
Vaterstadt. Sie sehen ja unsere bittere Not, das Elend, die hungrigen Kinder ...
ILL Es geht euch jetzt ganz gut.
DER BÜRGERMEISTER Ill!
ILL Bürgermeister! Ich bin durch eine Hölle gegangen. Ich sah, wie ihr Schulden machtet, spürte bei jedem Anzeichen des Wohlstands den Tod näher kriechen. Hättet ihr mir diese Angst erspart, dieses grauenhafte Fürchten, wäre alles anders gekommen, könnten wir anders reden, würde ich das Gewehr nehmen. Euch zuliebe. Aber nun schloß ich mich ein, besiegte meine Furcht. Allein. Es war schwer, nun ist es getan. Ein Zurück gibt es nicht. Ihr m ü ß t nun meine Richter sein. Ich unterwerfe mich eurem Urteil, wie es nun auch ausfalle. Für mich ist es die Gerechtigkeit, was es für euch ist, weiß ich nicht. Gott gebe, daß ihr vor eurem Urteil besteht. Ihr könnt mich töten, ich klage nicht, protestiere nicht, wehre mich nicht, aber euer Handeln kann ich euch nicht abnehmen.
DER BÜRGERMEISTER nimmt das Gewehr wieder zu sich Schade. Sie verpassen die Chance, sich reinzuwaschen, ein halbwegs anständiger Mensch zu werden. Doch das kann man von Ihnen ja nicht verlangen.
ILL Feuer, Herr Bürgermeister. Er zündet ihm die Zigarette an.
Der Bürgermeister ab.
Die Frau kommt im Pelzmantel, die Tochter in einem roten Kleid.
ILL Vornehm siehst du aus, Mathilde.
FRAU ILL Persianer.
ILL Wie eine Dame.
FRAU ILL Etwas teuer.
ILL Schön, dein Kleid, Ottilie. Doch gewagt, findest du nicht?
DIE TOCHTER Ach geh, Vater. Da solltest du erst mein Abendkleid sehen.
Der Laden verschwindet. Der Sohn stellt vier Stühle auf die leere Bühne.
ILL Ein schöner Wagen. Ein ganzes Leben lang mühte ich mich ab, es zu einem kleinen Vermögen zu bringen, zu etwas Bequemlichkeit, zu einem solchen Auto eben zum Beispiel, und nun, wie es soweit ist, möchte ich doch wissen, wie man sich fühlt dabei. Du kommst mit mir nach hinten, Mathilde, und Ottilie sitzt neben Karl.
Sie setzen sich auf die Stühle, markieren Autofahren.
DER SOHN Hundertzwanzig kann ich fahren.
ILL Nicht so schnell. Ich will die Gegend sehen, das Städtchen, wo ich lebte, fast siebzig Jahre. Sauber die alten Gassen, vieles schon renoviert. Ein grauer Rauch über den Kaminen, und Geranien vor den Fenstern, Sonnenblumen, Rosen in den Gärten beim Goethetor, Kinderlachen, Liebespaare überall.
Modern dieser Neubau am Brahmsplatz.
FRAU ILL Der Kaffee-Hodel läßt bauen.
DIE TOCHTER Der Arzt mit seinem Mercedes 300.
ILL Die Ebene, die Hügel dahinter, heute wie vergoldet. Gewaltig die Schatten, in die wir tauchen, und dann wieder das Licht. Wie Riesen die Krane der Wagnerwerke am Horizont und die Schlote von Bockmann.
DER SOHN Die Stadt will sie kaufen.
ILL Wie?
DER SOHN lauter Die Stadt will sie kaufen. Er tutet.
FRAU ILL Komische Fahrzeuge.
DER SOHN Messerschmidts. Jeder Lehrling muß so etwas anschaffen.
DIE TOCHTER C'est terrible.
FRAU ILL Ottilie nimmt einen Fortbildungskurs in Französisch und Englisch.
ILL Praktisch. Küblers Schnapspinte. War schon lange nicht mehr draußen.
DER SOHN Wird ein Freßlokal.
ILL Du mußt lauter reden bei dem Tempo.
DER SOHN lauter Wird ein Freßlokal. Natürlich Stocker. Überholt mit seinem Buick alles.
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DIE TOCHTER Ein Neureicher.
ILL Fahr nun durch die Niederung von Pückenried. Am Moor vorbei und durch die Pappelallee um das Jagdschlößchen des Kurfürsten Hasso herum. Wolkenungetüme am Himmel, übereinandergetürmt
wie im Sommer. Ein schönes Land, überschwemmt vom Abendlicht. Seh es heute wie zum ersten
Mal.
DIE TOCHTER Eine Stimmung wie bei Adalbert Stifter.
ILL Wie bei wem?
FRAU ILL Ottilie studiert auch Literatur.
ILL Vornehm.
DER SOHN Hofbauer mit seinem Volkswagen. Kommt von Kaffigen zurück.
DIE TOCHTER Mit den Ferkeln.
FRAU ILL Karl steuert sicher. Elegant wie er jetzt die Kurve schneidet. Man braucht keine Angst zu haben.
DER SOHN Erster Gang. Die Straße steigt.
ILL Kam immer außer Atem, wenn ich da hinaufmarschierte.
FRAU ILL Froh, daß ich meinen Pelzmantel habe. Es wird kühl.
ILL Du hast dich verfahren. Hier geht's nach Beisenbach. Mußt zurück und dann links in den
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