Der Besuch der alten Dame
Geschlossen.
VIERTE Geschlossen.
DER BÜRGERMEISTER Löscht die Lichter. Der Vollmond scheint durch die Fenster der Galerie. Das genügt.
Die Bühne wird dunkel. Im schwachen Mondlicht sind die Menschen nur undeutlich zu sehen.
DER BÜRGERMEISTER Bildet eine Gasse.
Die Güllener bilden eine kleine Gasse, an deren Ende der Turner steht, nun in eleganten weißen Hosen, eine rote Schärpe über dem Turnerleibchen!
DER BÜRGERMEISTER Herr Pfarrer, darf ich bitten.
Der Pfarrer geht langsam zu Ill, setzt sich zu ihm.
DER PFARRER Nun, Ill, Ihre schwere Stunde ist gekommen.
ILL Eine Zigarette.
DER PFARRER Eine Zigarette, Herr Bürgermeister.
DER BÜRGERMEISTER mit Wärme Selbstverständlich. Eine besonders gute.
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Er reicht die Schachtel dem Pfarrer, der sie Ill hinhält. Der nimmt eine Zigarette, der Polizist gibt ihm Feuer, der Pfarrer gibt die Schachtel wieder dem Bürgermeister zurück.
DER PFARRER Wie schon der Prophet Amos gesagt hat –
ILL Bitte nicht. Raucht.
DER PFARRER Sie fürchten sich nicht?
ILL Nicht mehr sehr. Raucht.
DER PFARRER hilf los Ich werde für Sie beten.
ILL Beten Sie für Güllen.
Ill raucht. Der Pfarrer steht langsam auf.
DER PFARRER Gott sei uns gnädig.
Der Pfarrer geht langsam in die Reihen der andern.
DER BÜRGERMEISTER Erheben Sie sich, Alfred Ill.
Ill zögert
DER POLIZIST Steh auf, du Schwein. Er reißt ihn in die Höhe.
DER BÜRGERMEISTER Polizeiwachtmeister, beherrschen Sie sich.
DER POLIZIST Verzeihung. Es ging mit mir durch.
DER BÜRGERMEISTER Kommen Sie, Alfred Ill.
Ill läßt die Zigarette fallen, tritt sie mit dem Fuß aus. Geht dann langsam in die Mitte der Bühne, kehrt dem Publikum den Rücken.
DER BÜRGERMEISTER Gehen Sie in die Gasse.
Ill zögert.
DER POLIZIST Los, geh.
Ill geht langsam in die Gasse der schweigenden Männer. Ganz hinten stellt sich ihm der Turner entgegen. Ill bleibt stehen, kehrt sich um, sieht, wie sich unbarmherzig die Gasse schließt, sinkt in die Knie. Die Gasse verwandelt sich in einen Menschenknäuel, lautlos, der sich ballt, der langsam niederkauert. Stille. Von links vorne kommen Journalisten. Es wird hell.
PRESSEMANN I Was ist denn hier los?
Der Menschenknäuel lockert sich auf. Die Männer sammeln sich im Hintergrund, schweigend. Zurück bleibt nur der Arzt, vor einem Leichnam kniend, über den ein kariertes Tischtuch, wie es in Wirtschaften üblich ist, gebreitet ist. Der Arzt steht auf. Nimmt das Stethoskop ab.
DER ARZT Herzschlag.
Stille.
DER BÜRGERMEISTER Tod aus Freude.
PRESSEMANN I Tod aus Freude.
PRESSEMANN II Das Leben schreibt die schönsten Geschichten.
PRESSEMANN I An die Arbeit.
Die Journalisten eilen nach rechts hinten. Von links kommt Claire Zachanassian, vom Butler gefolgt.
Sie sieht den Leichnam, bleibt stehen, geht dann langsam nach der Mitte der Bühne, kehrt sich gegen das Publikum.
CLAIRE ZACHANASSIAN Bringt ihn her.
Roby und Toby kommen mit einer Bahre, legen Ill darauf und bringen ihn vor die Füße Claire Zachanassians.
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CLAIRE ZACHANASSIAN unbeweglich Deck ihn auf, Boby.
Der Butler deckt das Gesicht Ills auf. Sie betrachtet es, regungslos, lange.
CLAIRE ZACHANASSIAN Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther. Deck ihn zu.
Der Butler deckt das Gesicht wieder zu.
CLAIRE ZACHANASSIAN Tragt ihn in den Sarg.
Roby und Toby tragen den Leichnam nach links hinaus.
CLAIRE ZACHANASSIAN Führ mich in mein Zimmer, Boby. Laß die Koffer packen. Wir fahren nach Capri.
Der Butler reicht ihr den Arm, sie geht langsam nach links hinaus, bleibt stehen.
CLAIRE ZACHANASSIAN Bürgermeister.
Von hinten, aus der Reihe der schweigenden Männer, kommt langsam der Bürgermeister nach vorne.
CLAIRE ZACHANASSIAN Der Check. Sie überreicht ihm ein Papier und geht mit dem Butler hinaus.
Drückten die immer besseren Kleider den anwachsenden Wohlstand aus, diskret, unaufdringlich, doch immer weniger zu übersehen, wurde der Bühnenraum stets appetitlicher, veränderte er sich, stieg er in seiner sozialen Stufenleiter, als siedelte man von einem Armeleutequartier unmerklich in eine moderne wohlsituierte Stadt über, reicherte er sich an, so findet diese Steigerung nun im Schlußbild ihre Apotheose. Die einst graue Welt hat sich in etwas technisch Blitzblankes, in Reichtum verwandelt, mündet in ein Welt-Happy-End ein. Fahnen, Girlanden, Plakate, Neonlichter umgeben den renovierten Bahnhof, dazu die Güllener, Frauen und Männer in Abendkleidern
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