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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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Säugling.“
    „Warst du damals so wie heute in eine Robe gekleidet?“
    „O nein! Du meine Güte! Welch sonderbarer Gedanke! Hatte lange, weiße Kleider, vermute ich, wie die anderen.“
    „Und dann warst du ein kleiner Bub?“
    „Ein kleiner Bub.“
    „Und dann ein prächtiger junger Mann?“
    „Ich fürchte, ich war kein sehr prächtiger junger Mann. Ich war kränklich und zu arm, um eindrucksvoll zu sein, und hatte ein furchtsames Herz. Ich studierte hart und saß brütend über den letzten Gedanken von Männern, die lange schon tot waren. So verlor ich an Prächtigkeit, und keine Jungfrau kam zu mir, und die Trübsal des Lebens begann allzu bald.“
    „Und hast du kleine, rosafarbene Säuglinge?“
    „Keinen einzigen“, sagte der Vikar mit einer kurzen, merkbaren Pause. „Dennoch beginne ich, wie Sie sehen, zu zerfallen. Mein Rücken wird schon krumm wie ein verwelkender Blumenstengel. Und in einigen tausend Tagen wird es mit mir aus sein, und ich werde aus dieser Welt gehen ... Wohin, weiß ich nicht.“

    „Und du mußt jeden Tag so essen?“ „Essen und Kleider besorgen und dieses Dach über mir erhalten. Es gibt einige unangenehme Dinge auf dieser Welt, man nennt sie Kälte und Regen. Und für die anderen Leute hier – wie und warum ist zu kompliziert, um es zu erklären – bin ich zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden. Sie bringen ihre kleinen, rosafarbenen Säuglinge zu mir, und ich muß jedem neuen, rosafarbenen Säugling einen Namen geben und einiges andere zu ihm sagen. Und wenn die Kinder zu Jugendlichen herangewachsen sind, kommen sie wieder und werden konfirmiert. Sie werden das später besser verstehen. Dann, bevor sie sich zu Paaren zusammenschließen und eigene rosafarbene Säuglinge haben dürfen, müssen sie wieder kommen und müssen mir zuhören, wie ich aus einem Buch lese. Andernfalls würden sie ausgestoßen sein, und keine andere Frau würde mit der jungen Frau sprechen, die einen kleinen, rosafarbenen Säugling hat, noch ehe ich vor ihr zwanzig Minuten aus meinem Buch gelesen habe. Das ist notwendig, wie Sie noch sehen werden. So seltsam es Ihnen vielleicht auch erscheinen mag. Und nachher, wenn sie zerfallen, versuche ich, sie von einer seltsamen Welt zu überzeugen, an die ich kaum selbst glaube, in der das Leben völlig anders ist als das, was sie gewohnt waren – oder wünschen.
    Und am Ende begrabe ich sie und lese denen, die bald in das unbekannte Land folgen werden, aus meinem Buch vor. Ich stehe am Anfang, am Höhepunkt und am Ende ihres Lebens. Und an jedem siebten Tag spreche ich, der ich selbst ein Mensch bin, ich, der nicht weiter sieht als sie, zu ihnen vom kommenden Leben – dem Leben, von dem wir nichts wissen. Wenn es solch ein Leben überhaupt gibt.
    Und während ich meine Prophezeiungen verkünde, zerfalle ich ganz allmählich.“
    „Ein seltsames Leben!“ sagte der Engel.
    „Ja“, sagte der Vikar. „Was für ein seltsames Leben! Aber das Seltsame daran ist für mich neu. Ich habe alles als selbstverständlich hingenommen, bis Sie in mein Leben getreten sind.“
    „Unser Leben ist so zäh“, sagte der Vikar.
    „Mit seinen kleinen Nöten, seinen kurzen Freuden (krach) umschlingt es unsere Seelen.
    Während ich meinen Leuten von einem anderen Leben predige, geben sich manche irgendeiner Begierde hin, überlassen sich dem Genuß, andere – die alten Menschen – schlummern, die jungen Männer werfen ein Auge auf die jungen Frauen, die erwachsenen Männer zeigen stolz ihre weißen Westen und Goldketten, nichts als Gepränge irdischer Eitelkeit, ihre Frauen zeigen einander prahlerisch ihre auffälligen Kapotthüte. Und ich fahre fort, ihnen die Ohren vollzureden von Dingen, die unsichtbar und fern sind. – ,Kein Auge hat es geschaut’, lese ich, ,kein Ohr es gehört, noch hat es der Geist eines Menschen je empfangen’, und wenn ich aufblicke, ertappe ich einen erwachsenen Mann mit einer unsterblichen Seele dabei, wie er gerade die Paßform von Handschuhen zu drei Shilling sechs Pennys bewundert. Jahr für Jahr dieselbe Enttäuschung.
    Als ich in meiner Jugend kränklich war, fühlte ich beinahe mit prophetischer Gewißheit, daß unter dieser Welt von Trugbildern eine wirkliche Welt ist – die zeitüberdauernde Welt des ewigen Lebens. Aber nun ...“
    Er blickte auf seine rundliche, weiße Hand und betastete den Stiel seines Glases. „Ich habe Fett angesetzt seit damals“, sagte er.
    (Pause.)
    „Ich habe mich sehr verändert, weiter

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