Der Besuch
entwickelt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geist quält mich nicht mehr so wie früher. Mit jedem Tag verliere ich das Vertrauen in die Religion, noch mehr in Gott. Ich führe, fürchte ich, ein stilles Leben, mit leidlich erfüllten Pflichten, mit einem bißchen Ornithologie und einem bißchen Schach, einem bißchen mathematischer Spielerei. Mein Leben ist in Seinen Händen ...“
Der Vikar seufzte und wurde nachdenklich.
Der Engel beobachtete ihn, und seine Augen verdunkelten sich in Ratlosigkeit. „Gluck, gluck, gluck“, machte die Karaffe, als der Vikar sein Glas wieder füllte.
19
So speiste der Engel und sprach mit dem Vikar, und bald brach die Nacht herein, und ein Gähnen übermannte ihn plötzlich.
„Aaah – oh!“ sagte der Engel plötzlich. „Du meine Güte! Eine höhere Macht schien plötzlich meinen Mund aufzureißen und ein gewaltiger Luftstrom schoß meine Kehle hinunter.“
„Sie haben gegähnt“, sagte der Vikar. „Gähnt man im Land der Engel nie?“
„Nie“, sagte der Engel.
„Und doch sind Sie unsterblich! – Ich vermute, Sie wollen zu Bett gehen.“
„Bett!“ sagte der Engel. „Wo ist das?“ So erklärte ihm der Vikar Dunkelheit und die Kunst des Zubettgehens. Es hat den Anschein, als schliefen die Engel nur, um zu träumen, und sie träumen, indem sie wie die Naturvölker die Stirn auf die Knie legen. Und sie schlafen mitten in den weißen Mohnwiesen in der Hitze des Tages. Der Engel fand die Schlafzimmereinrichtung ziemlich merkwürdig.
„Warum steht alles auf großen Holzbeinen?“ sagte er. „Du hast einen Fußboden, und dann stellst du alles auf vier hölzerne Beine. Weshalb?“ Der Vikar erklärte es mit philosophischer Verschwommenheit. Der Engel verbrannte sich einen Finger an der Kerzenflamme – und zeigte eine völlige Unkenntnis über Ursachen und Wirkungen einer Verbrennung.
Er war lediglich entzückt, als eine Feuerzunge die Vorhänge hinaufschoß. Der Vikar mußte nach dem Löschen der Flamme einen Vortrag über Feuer halten. Er hatte alle möglichen Erklärungen zu geben – sogar die Seife mußte erklärt werden. Es dauerte eine Stunde oder länger, ehe der Engel für die kommende Nacht sicher in die Decke gehüllt war.
„Er ist sehr schön“, sagte der Vikar, als er, ziemlich erschöpft, die Treppe hinabstieg;
„und er ist zweifellos ein wirklicher Engel.
Aber ich fürchte, er wird trotzdem große Probleme machen, bis er sich an die irdische Beschaffenheit der Dinge gewöhnt hat.“ Er schien recht beunruhigt. Er schenkte sich noch ein Glas Sherry ein, bevor er den Wein in das Flaschenregal zurückstellte.
20
Der Kurat stand vor dem Spiegel und entledigte sich feierlich des Hemdkragens.
„Ich habe niemals eine phantastischere Geschichte gehört“, sagte Mrs. Mendham vom Korbsessel aus. „Der Mann muß verrückt sein.
Bist du sicher ...“
„Vollkommen, meine Liebe. Ich habe dir jedes Wort, jede Einzelheit erzählt ...“
„Nun ja!“ sagte Mrs. Mendham und breitete ihre Arme aus. „Es ergibt keinen Sinn.“
„Ganz recht, meine Liebe.“
„Der Vikar“, sagte Mrs. Mendham, „muß verrückt sein.“
„Dieser Bucklige ist sicher eines der seltsamsten Geschöpfe, das ich seit langem gesehen habe. Er sieht fremdländisch aus, hat ein breites helles Gesicht und langes braunes Haar ...
Es mag schon seit Monaten nicht mehr geschnitten worden sein!“ Der Kurat legte seine Kragenknöpfe sorgfältig auf den Frisiertisch.
„Seine Augen hatten irgendwie einen starren Blick, und sein Lächeln war etwas einfältig.
Eine recht töricht aussehende Person. Verweichlicht.“
„Aber wer kann er sein?“ sagte Mrs. Mendham.
„Ich habe keine Ahnung, meine Liebe. Ich weiß auch nicht, woher er gekommen ist. Er könnte ein Chorknabe oder so etwas sein.“
„Aber was hätte er im Gebüsch zu suchen ...
in diesem schrecklichen Gewand?“
„Ich weiß es nicht. Der Vikar hat mir keine Erklärung gegeben. Er sagte einfach: ,Mendham, das ist ein Engel.’“
„Ich würde gerne wissen, ob er trinkt ... Sie können natürlich in der Nähe der Quelle gebadet haben“, stellte Mrs. Mendham eine Überlegung an. „Aber ich habe auf seinem Arm keine anderen Kleider bemerkt.“
Der Kurat setzte sich auf sein Bett und schnürte seine Stiefel auf.
„Es ist mir ein völliges Rätsel, meine Liebe.“ (Schnalz, schnalz von den Schuhbändern.)
„Halluzination ist die einzige nachsichtige ...“
„Bist du sicher, George, daß es keine Frau
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