Der Besuch
gebracht, und er ist von einem Gefühl beseelt, als habe er in einer undeutlichen Vision dunkel etwas von einer bisher nicht bekannten Wunderwelt, die über seiner Welt liegt, gesehen. Zwanzig Jahre lang hatte er sein Dorf für das Leben gehalten und hatte Tag für Tag sein Leben gelebt, von seinem vertrauten Glauben, vom Getriebe der alltäglichen Kleinigkeiten beschützt, vor allen mystischen Träumereien. Aber nun hatte sich in den gewohnten Ärger mit seinem unbequemen Nachbarn eine völlig fremde Ahnung von seltsamen Dingen gemengt.
Etwas Beunruhigendes lag in dieser Ahnung.
Einmal verdrängte sie sogar alle anderen Überlegungen, und in einem Anfall von Schrecken fiel er aus dem Bett, schlug sich sehr schmerzhaft seine Schienbeine an, fand schließlich die Zündhölzer und zündete eine Kerze an, um sich wieder von der Wirklichkeit seiner eigenen vertrauten Welt zu überzeugen.
Aber im ganzen gesehen bildete die Mendham-Lawine Anlaß zu vordringlicher Besorgnis.
Ihre Zunge schwebte über ihm wie das Damoklesschwert. Was konnte sie über diese Sache nicht alles verbreiten, ehe ihre entrüstete Einbildungskraft zur Ruhe kam?
Und während der erfolgreiche Fänger des Seltsamen Vogels so unruhig schlief, entlud Gully von Sidderton nach einem mühevollen, erfolglosen Tag sorgfältig sein Gewehr, und Sandy Bright lag betend auf seinen Knien; das Fenster hatte er vorsorglich geschlossen. Annie Durgan schlief tief mit offenem Mund, und Amorys Mutter träumte von Wäsche, und beide hatten schon lange alles über das Thema Klang und grelles Licht gesagt. Lumpy Durgan saß aufrecht in seinem Bett, bald einzelne Töne einer Melodie summend, bald gespannt nach einem Klang lauschend, den er einmal gehört hatte und den wiederzuhören er sich sehnte. Und was den Schreiber des Anwalts in Iping Hanger betraf, so versuchte dieser Gedichte über die Angestellte eines Konditors in Portburdock zu schreiben, und der Seltsame Vogel beschäftigte ihn überhaupt nicht mehr.
Aber der Pflüger, der ihn am Ende des Siddermorton Parks gesehen hatte, hatte ein blaues Auge. Das war eine der sinnfälligeren Folgen einer kleinen Erörterung über Vogelbeine im
„Ship“ gewesen. Dies ist einer flüchtigen Erwähnung wert, da es sich hier wahrscheinlich um den einzig bekannten Fall dreht, wo ein Engel Derartiges verursacht hat.
22
Als der Vikar den Engel holen ging, fand er ihn angezogen und aus dem Fenster gebeugt. Es war ein herrlicher Morgen, und es lag noch Tau; und das Licht der aufgehenden Sonne, das schräg um die Ecke des Hauses einfiel, streifte warm und gelb über den Bergeshang.
Die Vögel in der Hecke und in den Sträuchern waren bereits recht rege. Auf dem Berghang –
es war später August –, zog langsam ein Pflug seine Spur. Das Kinn des Engels ruhte auf den Händen, und er drehte sich nicht um, als der Vikar zu ihm heraufkam.
„Wie geht’s dem Flügel?“ sagte der Vikar.
„Ich hatte ihn ganz vergessen“, sagte der Engel. „Ist das dort drüben ein Mensch?“ Der Vikar blickte hin. „Das ist ein Pflüger.“
„Warum geht er so hin und her? Macht es ihm Spaß?“
„Er pflügt. Das ist seine Arbeit.“
„Arbeit! Warum macht er sie? Es scheint eine eintönige Sache zu sein.“
„Das ist es“, gab der Vikar zu. „Aber er muß es tun, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verstehen Sie. Um etwas zu essen zu bekommen und all diese Dinge.“
„Seltsam!“ sagte der Engel. „Müssen alle Menschen das machen? Mußt du es machen?“
„O nein. Er macht es für mich; macht meinen Anteil.“
„Warum?“ fragte der Engel.
„Oh, als Ersatz für Dinge, die ich für ihn mache, verstehen Sie. Wir haben in dieser Welt das Prinzip der Arbeitsteilung. Austausch ist kein Raub.“
„Ich verstehe“, sagte der Engel, während seine Augen noch immer auf den schwerfälligen Bewegungen des Pflügers ruhten.
„Was machst du für ihn?“
„Die Frage halten Sie für leicht zu beantworten“, sagte der Vikar, „aber in Wirklichkeit –
ist sie schwierig. Unsere gesellschaftlichen Übereinkünfte sind ziemlich kompliziert. Es ist unmöglich, all diese Dinge sofort zu erklären, vor dem Frühstück. Sind Sie nicht hungrig?“
„Ich glaube schon“, sagte der Engel langsam, während er noch am Fenster war; und dann plötzlich: „Irgendwie kann ich nicht anders als glauben, daß Pflügen alles andere als Freude macht.“
„Möglicherweise“, sagte der Vikar, „möglicherweise wirklich. Aber das
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