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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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Zweifel. Jedenfalls für mich. Ich gebe zu, es ist seltsam und gegen meine bisherige Auffassung, aber –
    faktisch – bin ich überzeugt, wirklich vollkommen überzeugt, daß ich eben das gesehen habe, was ich zweifellos gesehen habe. Aber dem Verhalten dieser Leute zufolge ... krach ...
    Ich weiß wirklich nicht, wie wir die Leute überzeugen sollen. Heutzutage sind Leute was Beweise anlangt so überaus wählerisch. Deshalb, fürchte ich, bedarf es einer ganzen Menge Erklärungen für die Haltung, die Sie einnehmen.
    Vorläufig wenigstens bin ich der Ansicht, daß es am besten für Sie ist, sich so wie besprochen zu verhalten, und sich, so weit es geht, wie ein Mensch zu benehmen. Man weiß natürlich nicht, wie oder wann Sie zurückkehren können. Nach allem, was geschehen ist“ – (gluck, gluck, gluck) – der Vikar füllt sein Glas neu –

    „nach allem, was geschehen ist, wäre ich nicht überrascht, würde ich eine Seite des Zimmers verschwinden und die Himmelsscharen erscheinen sehen, um Sie wieder wegzuholen –
    sogar uns beide wegzuholen. Sie haben meine Phantasie so sehr gesteigert. All die Jahre habe ich das Wunderland schon vergessen gehabt.
    Aber dennoch – es wird sicher klüger sein, sie behutsam daran zu gewöhnen.“
    „Euer Leben“, sagte der Engel. „Ich tappe noch immer im Dunkeln. Wie fängt es mit euch an?“
    „Du meine Güte!“ sagte der Vikar. „Daß man das einmal erklären muß! Wir beginnen unser Dasein hier, verstehen Sie, als Säuglinge, törichte, rosafarbene, hilflose Dinger, weiß eingewickelt, mit glotzenden Augen, als Säuglinge, die beim Taufstein jämmerlich heulen. Dann werden diese Säuglinge größer und sogar schön – wenn ihre Gesichter sauber sind. Und sie wachsen weiter, bis sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Sie werden zu Kindern, Jungen und Mädchen, Jünglingen und Jungfrauen (krach), jungen Männern und jungen Frauen. Das ist die schönste Zeit des Lebens, behaupten viele – sicherlich die herrlichste. Voll großer Hoffnungen und Träume, unbestimmter Gefühle und unerwarteter Gefahren.“
    „Das war eine Jungfrau?“ sagte der Engel und zeigte auf die Tür, durch die Delia verschwunden war.
    „Ja“, sagte der Vikar, „das war eine Jungfrau.“ Und hielt nachdenklich inne.
    „Und dann?“
    „Dann“, sagte der Vikar, „verblaßt der Zauber, und der Ernst des Lebens beginnt. Die jungen Männer und jungen Frauen heiraten –
    meistens. Sie kommen schüchtern und verschämt zu mir, in eleganten, häßlichen Kleidern, und ich traue sie.
    Und dann kommen kleine, rosafarbene Säuglinge zu ihnen, und einige von denen, die da zuvor Jünglinge und Jungfrauen waren, werden dick und vulgär, und einige werden dünn und zänkisch, und ihr schönes Aussehen vergeht, und sie betrachten jüngere Leute mit einem überlegenen Dünkel, und die ganze Freude und Herrlichkeit verschwindet aus ihrem Leben. Deshalb nennen sie die Freude und Pracht der Jüngeren Illusion. Und dann beginnt der Zerfall.“
    „Der Zerfall!“ sagte der Engel. „Wie grotesk!“
    „Ihre Haare fallen aus, und die Haarfarbe wird matt oder aschgrau“, sagte der Vikar.

    „Ich, zum Beispiel.“ Er neigte seinen Kopf, um einen kreisrunden, glänzenden Fleck in der Größe eines Guldens zu zeigen. „Und ihre Zähne fallen aus. Ihre Gesichter fallen ein, werden faltig und trocken wie ein geschrumpfter Apfel. ,Runzelig’ hast du meines genannt. Sie kümmern sich immer mehr darum, was sie zu essen und zu trinken haben, und immer weniger um die anderen Freuden des Lebens. Ihre Gliedmaßen werden in den Gelenken locker, und ihre Herzen werden schwach, oder kleine Teile ihrer Lungen werden ausgehustet.
    Schmerz ...“
    „Ah!“ sagte der Engel.
    „Schmerz tritt immer häufiger in ihr Leben.
    Und dann gehen sie. Sie gehen nicht gerne, aber sie müssen – hinaus aus dieser Welt, sehr widerwillig, ja in ihrem Verlangen zu bleiben, nehmen sie sogar den Schmerz dieser Welt in Kauf ...“
    „Wohin gehen sie?“
    „Früher habe ich noch geglaubt, es zu wissen.
    Aber jetzt, da ich älter bin, weiß ich, daß ich es nicht weiß. Es gibt bei uns eine Legende – vielleicht ist es keine Legende. Es kann einer ein Geistlicher sein und nicht glauben. Stokes sagt, es habe nichts für sich ...“ Der Vikar schüttelte seinen Kopf über den Bananen.

    „Und du?“ sagte der Engel. „Warst du auch ein kleiner rosafarbener Säugling?“
    „Vor langer Zeit war ich ein kleiner, rosafarbener

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