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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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ein verfärbter Wasserspeier, der sogleich anfing, unverständliche Beschimpfungen herauszuspritzen.
    „Und Sie, Mister“, begann Mrs. Gustick. „Haben Sie nichts Besseres zu tun, als an den Türen fremder Leute zu horchen, um was aufzuschnappen?“
    Der Engel starrte sie verwundert an.
    „Verstehen Sie mich!“ sagte Mrs. Gustick, offensichtlich tatsächlich verärgert. „Horchen.“
    „Hast du etwas dagegen, daß ich zuhöre ...“
    „Hast du was dagegen! Natürlich hab’ ich was dagegen! Was glauben denn Sie? So ein Idiot werden Sie doch auch nicht ...“
    „Aber wenn du nicht willst, daß ich das höre, warum hast du so laut geschrien? Ich dachte ...“
    „Sie dachten! Ein Trottel sind Sie! Sie blöder Esel starren Gaby an und haben dabei nichts Besseres zu tun, als herzukommen und Ihr verfluchtes Maul weit aufzureißen und so viel wie möglich aufzuschnappen! Und dann hauen Sie ab und erzählen dort oben alles! Sie ausgewachsener, großköpfiger, geschwätziger Esel!
    Schämen würde ich mich, die Nase in das Haus anständiger Leute zu stecken und herumzuschnüffeln ...“ Der Engel war überrascht, als er feststellte, daß irgendein unerklärliches Etwas in ihrer Stimme in ihm unangenehmste Gefühle entstehen ließ und das starke Verlangen sich zurückzuziehen. Aber er gab diesem Verlangen nicht nach und hörte höflich zu (wie das Sitte ist im Land der Engel, so lange jemand spricht). Der ganze Ausbruch ging über seine Fassungskraft.
    Er konnte keine Ursache für das plötzliche Hervorschnellen des keifenden Gesichtes, aus dem Nichts hervor sozusagen, erkennen. Und mit Fragen, denen keine Pause für eine Antwort folgte, hatte er überhaupt keine Erfahrung.
    Mrs. Gustick fuhr in ihrem typischen Redeschwall fort, versicherte ihm, daß er kein Ehrenmann sei, erkundigte sich, ob er sich etwa gar für einen solchen halte, bemerkte, daß jeder Landstreicher heutzutage nichts anderes tue, verglich ihn mit einem arroganten Ferkel, wunderte sich über seine Unverschämtheit, fragte, ob er sich nicht schäme da zu stehen, erkundigte sich, ob er angewachsen sei, war neugierig zu wissen, was er damit bezwecke, wollte wissen, ob er diese Kleider einer Vogelscheuche geraubt habe, deutete an, daß seinem Benehmen eine unerträgliche Eitelkeit anhaftete, fragte, ob seine Mutter wisse, daß er au
    ßer Haus sei, und bemerkte endlich: „Ich weiß schon, was Ihnen Beine machen kann, mein Lieber!“ Und verschwand hinter der heftig zugeschlagenen Tür.
    Die Pause war für den Engel unerhört friedlich. Sein aufgescheuchter Verstand hatte Zeit, die Empfindungen zu deuten. Er ließ von dem Verbeugen und Lächeln ab und stand nur staunend da.
    „Das ist ein merkwürdig schmerzhaftes Gefühl“, sagte der Engel. „Beinahe schlimmer als ,hungrig’ und ganz anders. Wenn jemand Hunger hat, will er essen. Ich nehme an, sie war eine Frau. Hier mag man nicht bleiben.
    Ich werde lieber gehen.“
    Er drehte sich langsam um und ging gedankenverloren die Straße hinunter. Er hörte, wie sich die Tür der Hütte wieder öffnete, und als er den Kopf umwandte, sah er hinter scharlachroten Stangenbohnen Mrs. Gustick mit einem dampfenden Schmortopf in der Hand, der das heiße Wasser enthielt, in dem sie den Kohl gekocht hatte.

    „Gut, daß Sie abgehauen sind, Herr Hosenfledderer“, schallte Mrs. Gusticks Stimme durch die zinnoberroten Blüten herunter.
    „Kommen Sie nicht noch einmal her und schnüffeln herum und stecken Ihre Nase in dieses Haus, sonst bring’ ich Ihnen Manieren bei, verlassen Sie sich drauf!“
    Der Engel blieb in beträchtlicher Verwirrung stehen. Er hatte nicht das Verlangen, wieder in Hörweite der Hütte zu kommen – kein einziges Mal. Er erfaßte die genaue Tragweite des schwarzen Topfes nicht, aber der allgemeine Eindruck war unangenehm. Da gab es nichts zu erklären.
    „Das ist mein Ernst!“ sagte Mrs. Gustick mit zunehmender Lautstärke. „Glauben Sie mir! –
    Das ist mein Ernst.“
    Der Engel drehte sich um und ging mit verblüfftem Gesicht weiter.
    „Sie war sehr komisch“, sagte der Engel.
    „Sehr. Viel komischer als der kleine Mann in Schwarz. Und es ist ihr Ernst. Aber was ihr Ernst ist, weiß ich nicht ...“ Er schwieg. „Ich denke, es ist ihnen allen etwas Ernst“, sagte er bald darauf, noch immer verwirrt.

25
    Dann kam der Engel in die Nähe der Schmiede, wo Sandy Brights Bruder gerade ein Pferd für den Fuhrmann von Upmorton beschlug. Zwei linkische Burschen standen bei der Schmiede

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