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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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Besuche von Engeln keineswegs selten sind. Vielleicht sind einige von Ihren – Freunden schon hier gewesen? Man glaubt, daß sie zu verdienstvollen Menschen in die Gefängnisse herunterkommen und raffinierte Natsch-Tänze aufführen und ähnliche Dinge mehr.
    Diese Faust-Angelegenheit, verstehen Sie.“
    „Ich habe niemals etwas Derartiges gehört“, sagte der Engel.
    „Erst neulich versicherte mir eine Frau, deren Säugling zu dem Zeitpunkt mein Patient war – Verdauungsstörungen –, daß gewisse Grimassen, die das kleine Geschöpf machte, anzeigten, daß es von Engeln träumte. In den Romanen von Mrs. Henry Wood wird dies als untrügliches Vorzeichen eines frühen Hinscheidens bezeichnet. Ich vermute, Sie können auch kein Licht in diese geheimnisvolle pathologische Erscheinung bringen?“
    „Ich verstehe es überhaupt nicht“, sagte der Engel; er war verwirrt und begriff nicht ganz, was der Doktor bezweckte.
    („Er wird langsam böse“, sagte der Doktor bei sich. „Merkt, daß ich mich über ihn lustig mache.“) „Etwas möchte ich gerne wissen. Beschweren sich Neuankömmlinge sehr über ihre medizinischen Betreuer? Ich habe mir immer vorgestellt, daß es da gerade am Anfang ziemliches Gerede über die Behandlungsmethoden geben muß. Erst im Juni habe ich mir wieder dieses Bild in der ‚Academy’
    angesehen ...“

    „Neuankömmlinge!“ sagte der Engel. „Ich kann dir wirklich nicht folgen.“
    Der Doktor war verblüfft. „Ja, kommen sie denn nicht hinauf?“
    „Hinaufkommen!“ sagte der Engel. „Wer?“
    „Die Leute, die hier sterben.“
    „Nachdem sie hier in Stücke zerfallen sind?“
    „Das ist die gängige Meinung hier, wissen Sie.“
    „Leute wie die Frau, die zur Tür herausgeschrien hat, und der finster blickende Mann, der sich hin- und hergewälzt hat und die schrecklichen kleinen Dinger, die mit Schalen werfen! – sicher nicht. Ich habe solche Geschöpfe nie gesehen, bevor ich in diese Welt gefallen bin.“
    „Oh! Tun Sie nicht so!“ sagte der Doktor. „Als nächstes werden Sie mir erzählen wollen, daß Ihre offiziellen Roben nicht weiß sind und daß Sie nicht Harfe spielen können.“
    „Es gibt im Land der Engel nichts, was als weiß bezeichnet wird“, sagte der Engel. „Es ist diese komische leere Farbe, die entsteht, wenn man alle anderen Farben vermischt.“
    „Nun, lieber Herr!“ sagte der Doktor und änderte plötzlich seinen Tonfall. „Es steht fest, daß Sie nichts über das Land wissen, aus dem Sie kommen. Die Farbe Weiß ist nämlich das Wesentliche an diesem Land.“
    Der Engel starrte ihn an. Machte der Mann einen Scherz? Er sah vollkommen ernst aus.
    „Schauen Sie“, sagte Crump, stand auf und ging zum Anrichtetisch, auf dem eine Ausgabe des „Parish Magazine“ lag. Er brachte es dem Engel und schlug den farbigen Bildteil auf.
    „Hier können Sie einige richtige Engel sehen“, sagte er. „Sie sehen, daß Flügel allein noch lange keinen Engel ausmachen. Weiß, wie Sie sehen, mit einem Kleid, das aus einem in Falten geworfenen Tuch besteht, und sie segeln in den Himmel hinein und haben ihre Flügel zusammengeklappt. Das sind Engel, wie sie uns aus verläßlichen Quellen bekannt sind. Wasserstoffblonde Haare. Einer hat so etwas wie eine Harfe, wie Sie sehen, und der andere hilft dieser flügellosen Dame – ein Engel, der erst einer wird, sozusagen – hinauf.“
    „Oh! Jetzt aber im Ernst!“ sagte der Engel.
    „Das sind überhaupt keine Engel.“
    „Aber das sind Engel“, sagte Crump, während er die Zeitschrift auf den Anrichtetisch zurücklegte und dann mit großer Befriedigung wieder Platz nahm. „Ich kann Ihnen versichern, ich habe verläßliche Quellen ...“
    „Ich kann Ihnen versichern ...“

    Crump kniff den Mund zusammen und schüttelte den Kopf, wie er es auch bei seinem Gespräch mit dem Vikar gemacht hatte. „Es hat keinen Sinn“, sagte er, „wir können unsere Vorstellungen und Ideen nicht wegen eines unzurechnungsfähigen Besuchers ändern ...“
    „Wenn das Engel sind“, sagte der Engel,
    „dann bin ich niemals im Land der Engel gewesen.“
    „Richtig“, sagte Crump, unendlich zufrieden mit sich selbst; „das ist genau das, was ich Ihnen beweisen wollte.“ Der Engel starrte ihn mit großen Augen an und wurde dann zum zweiten Mal von der menschlichen Krankheit des Lachens erfaßt.
    „Ha, ha, ha!“ fiel Crump in das Lachen mit ein. „Ich dachte mir doch, daß Sie nicht ganz so verrückt sind, wie es den Anschein

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