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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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sie kommen heraus, ohne Hirn, brav und stramm, bereit, vor jedem den Hut zu ziehen. Gestern hat einer sogar vor mir den Hut gezogen. Und sie laufen geschäftig ‘rum, machen alle schmutzige Arbeiten und sind dankbar, daß man sie leben läßt. Sie sind wirklich stolz auf die schwere Arbeit, die für nichts gut ist. Nachdem sie mit Mark vollgestopft worden sind.
    Siehst du den Kerl pflügen?“
    „Ja“, sagte der Engel; „hat man sein Gehirn ausgestopft?“
    „Sicher. Sonst würde er in der Gegend herumspazieren bei dem schönen Wetter – wie ich und die gesegneten Apostel.“
    „Langsam verstehe ich“, sagte der Engel recht zögernd.
    „Ich hab’ mir gedacht, daß du es verstehen wirst“, sagte der Ehrenwerte Landstreicher.
    „Ich hab’ gewußt, daß du der richtige Mann dazu bist. Aber im Ernst, ist es nicht lachhaft?
    – Jahrhunderte der Zivilisation, und dann schau dir dieses arme Schwein da an, rackert sich zu Tode und schleppt sich den Berg hinauf. Er ist Engländer, Engländer. Gehört zur höheren Gattung Mensch in der Schöpfung, dazu gehört er. Er ist einer der Herren über Indien. Da lachen ja die Neger. Die Fahne, die tausend Jahre lang Schlacht und Kampf überdauert hat – das ist seine Fahne. Kein Land, das so groß und ruhmreich war wie dieses. Zu keiner Zeit. Und das hat es aus uns gemacht.
    Ich werd’ dir eine kleine Geschichte aus dieser Gegend erzählen, weil du anscheinend hier fremd bist. Es gibt da einen Kerl, der heißt Goten, Sir John Gotch sagen sie zu ihm. Damals, als der ein feiner Herr in Oxford war, war ich ein kleiner Knilch von acht Jahren und meine Schwester war siebzehn. Dienstmädchen war sie bei ihnen. Aber mein Gott, jeder kennt diese Geschichte – so etwas ist bei denen ganz normal, bei ihm und bei Leuten wie ihm.“
    „Ich habe sie noch nicht gehört“, sagte der Engel.
    „Alle schönen und aufgeweckten Mädchen werden von ihnen in die Gosse gebracht, und alle Männer, die nur einen Funken Mumm oder Abenteuerlust haben, alle, die nicht das trinken, was ihnen die Frau des Kuraten anstelle von Bier gibt, und nicht wahllos ihren Hut ziehen, und die Kaninchen und Vögel den anderen überlassen, werden als derbes und rohes Gesindel aus dem Dorf hinausgetrieben.
    Patriotismus! Reden davon, die Menschenrasse zu verbessern! Was übrig bleibt, kann keinem Neger das Wasser reichen, ein Chinese würde sich für sie schämen ...“
    „Aber ich verstehe nicht“, sagte der Engel.
    „Ich kann dir nicht folgen.“
    Daraufhin wurde der Ehrenwerte Landstreicher deutlicher und erzählte dem Engel die ungeschminkte Wahrheit über Sir John Gotch und dem Küchenmädchen. Es ist kaum notwendig, sie zu wiederholen. Sie werden sicher verstehen, daß sie den Engel in Verwirrung setzte. Sie war voll von Begriffen, die er nicht verstand, denn das einzige sprachliche Mittel, über das der Landstreicher verfügte, um Gefühle auszudrücken, war Gotteslästerung. Und doch, trotz der Verschiedenheit ihrer Sprachen, konnte er dem Engel notdürftig seine (wahrscheinlich unbegründete) Überzeugung von der Ungerechtigkeit und Grausamkeit des Lebens und der abgrundtiefen Verächtlichkeit eines Sir John Gotch vermitteln.
    Das letzte, das der Engel von ihm sah, war der staubige schwarze Rücken, der die Straße hinunter in Richtung Iping Hanger entschwand.
    Am Wegrand tauchte ein Fasan auf. Der Landstreicher bückte sich sofort nach einem Stein und brachte den Vogel mit einem wütenden, zielsicheren Schuß zum Glucken. Dann verschwand er hinter der nächsten Biegung.

31
    „Ich habe jemanden im Pfarrhaus Geige spielen gehört, als ich dort vorbeikam“, sagte Mrs.
    Jehoram und nahm sich die Tasse Tee, die ihr Mrs. Mendham anbot.
    „Der Vikar spielt“, sagte Mrs. Mendham. „Ich habe schon mit George darüber gesprochen, aber es hat keinen Sinn. Ich meine, daß es einem Vikar nicht gestattet sein sollte, so etwas zu tun. Es ist so unpassend. Aber hier, er ...“
    „Ich weiß, meine Liebe“, sagte Mrs. Jehoram.
    „Aber ich habe den Vikar einmal im Klassenzimmer gehört. Ich glaube nicht, daß es der Vikar war. Es klang recht gut, zum Teil recht talentiert, weißt du. Und neu. Heute morgen habe ich es der guten Lady Hammergallow erzählt. Ich stelle mir vor ...“
    „Der Verrückte! Sehr wahrscheinlich sogar.
    Diese schwachsinnigen Menschen ... Meine Liebe, ich glaube nicht, daß ich diese schreckliche Begegnung je vergessen werde. Gestern.“
    „Ich auch nicht.“
    „Meine armen

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