Der Besuch
anfangen, mit hübschen roten Tupfen herumzulaufen ...“
„Oh, George! Sie sind heute so schrecklich zynisch“, sagte die jüngere Miss Pirbright. „Ich bin sicher, daß es keine Schminke ist.“
„Ich bin wirklich nicht sein Vormund, meine liebe Lady Hammergallow. Natürlich ist es sehr liebenswürdig von Ihnen, solchen Anteil zu nehmen ...“
„Werden Sie wirklich Improvisationen spielen?“ sagte Mrs. Jehoram, girrend vor Entzücken.
„Sssch!“ zischte der Kurat aus Iping Hanger.
Dann begann der Engel zu spielen, starr vor sich hin blickend und in Gedanken mit den Wundern des Landes der Engel beschäftigt, und unmerklich stahl sich die Traurigkeit, die ihn plötzlich ergriff, in die Fantasia, die er spielte. Sobald er die Gesellschaft vergaß, war die Musik seltsam und süß; sobald er seiner Umgebung gewahr wurde, wurde die Musik launig und grotesk. Aber auf den Vikar übte die Engelsmusik einen solchen Zauber aus, daß seine Befürchtungen beim ersten Ton, den der Engel spielte, von ihm wichen. Mrs. Jehoram saß da und schaute so verzückt und verständnisinnig, wie sie nur irgend konnte (obwohl die Musik manchmal recht rätselhaft war), und versuchte, einen Blick des Engels zu erhaschen. Er hatte wirklich ein wunderbar ausdrucksfähiges Gesicht, und die zartesten Empfindungen spiegelten sich in seinen Zügen! Und Mrs. Jehoram war eine Kennerin.
George Harringay sah gelangweilt aus, bis die jüngere Miss Pirbright, die ihn anbetete, ihren zierlichen kleinen Schuh vorstreckte, um seinen männlichen Stiefel zu berühren, worauf er den Kopf wandte, um die weibliche Zartheit ihres koketten Blickes einzufangen, und getröstet war. Die allerälteste Miss Papaver und Mrs.
Pirbright saßen vollkommen reglos und blickten fast vier Minuten lang fromm drein.
Dann sagte die älteste Miss Papaver im Flüsterton: „Geigenmusik ist für mich immer das reinste Vergnügen.“ Und Mrs. Pirbright antwortete: „Wir werden in dieser Gegend so selten mit schöner Musik verwöhnt.“ Und Miss Papaver sagte: „Er spielt sehr hübsch.“ Und Mrs. Pirbright: „Dieses exquisite Feingefühl!“ Und Miss Papaver: „Besucht Willie noch den Unterricht?“ Und so wisperten sie durcheinander.
Der Kurat aus Iping Hanger saß (so schien ihm) im Blickpunkt der ganzen Gesellschaft.
Er hatte eine Hand an der Ohrmuschel, und sein Blick ruhte fest und starr auf dem Sockel der Hammergallow-Sevres-Vase. Er bot durch seine Mundbewegungen eine Art kritischen Führer für jeden Anwesenden, der geneigt war, sich dieses kritischen Führers zu bedienen. Und er war großzügig. Sein Gesichtsausdruck war streng kritisch und wurde moduliert durch Anflüge von offener Mißbilligung und verhaltener Würdigung. Der Vikar lehnte sich in seinem Stuhl zurück, starrte auf das Gesicht des Engels und wurde sogleich in einen wunderbaren Traum versetzt. Lady Hammergallow blickte mit schnellen, ruckartigen Kopfbewegungen in die Runde, raschelte leise, aber beharrlich mit und versuchte, sich ein Urteil über die Wirkung der Musik des Engels zu bilden. Mr. Rathbone Slater starrte ganz feierlich in seinen Hut und sah sehr mitgenommen aus, und Mrs. Rathbone Slater machte sich im Geiste Aufzeichnungen von Mrs. Jehorams Ärmeln. Und die Luft über ihnen war erfüllt von herrlicher Musik – für alle, die Ohren hatten, zu hören.
„Kaum entsprechend bewegt“, flüsterte Lady Hammergallow mit heiserer Stimme und stieß dem Vikar plötzlich in die Rippen. Der Vikar wurde jäh aus dem Traumland herausgerissen.
„Eh?“ rief der Vikar erschrocken und sprang auf. „Sssch!“ sagte der Kurat aus Iping Hanger, und alle waren empört über die brutale Taktlosigkeit Hillyers. „Das ist recht ungewöhnlich für den Vikar“, sagte die allerälteste Miss Papaver, „sich so zu benehmen!“ Der Engel spielte weiter.
Der Kurat aus Iping Hanger vollführte mit seinem Zeigefinger hypnotisierende Bewegungen, und als er dies eine Weile fortsetzte, wurde Mr. Rathbone Slater erstaunlich schlaff. Er drehte feierlich den Hut in seiner Hand und änderte die Blickrichtung. Der Vikar glitt vom Zustand ängstlichen Unbehagens wieder ins Traumland. Lady Hammergallow raschelte heftig und fand alsbald eine Möglichkeit, ihren Stuhl knarren zu lassen. Und schließlich war es zu Ende. „Groooßartig“, rief Lady Hammergallow aus, obwohl sie keinen Ton gehört hatte, und begann zu applaudieren. Daraufhin fingen alle zu klatschen an, außer Mr. Rathbone Slater, der dafür aber
Weitere Kostenlose Bücher