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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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unbeholfen wegen dieser Sache mit dem Hut, nachdem er vergeblich versucht hatte, einen Blick des Vikars zu erhaschen. Die älteste Miss Papaver versuchte, mit ihm über kontinentale Seebäder und Zigaretten zu sprechen, und gelangte zu einem abfälligen Urteil über seine Intelligenz.
    Der Engel wurde durch das Beibringen eines Notenständers und einiger Notenhefte überrascht und beim ersten Anblick der Lady Hammergallow, die ihn, den Kopf zur Seite geneigt, mit diesen vergrößerten Augen durch ihre vergoldeten Brillen beobachtete, ein wenig entmutigt.
    Bevor er zu spielen anfing, kam Mrs. Jehoram zu ihm hinauf und erkundigte sich nach dem Namen jenes „reizenden Stückes“, das er am vorigen Nachmittag gespielt hatte. Der Engel erwiderte, es habe keinen Namen, und Mrs.
    Jehoram meinte, Musik sollte eigentlich immer namenlos sein, und wollte wissen, wer es komponiert habe. Als der Engel bemerkte, daß er es aus dem Stegreif gespielt habe, sagte sie, daß er wirklich ein Genie sein müsse, und blickte ihn mit offener (und unbestreitbar faszinierender) Bewunderung an. Der Kurat aus Iping Hanger (der vor allem anderen Kelte war, Klavier spielte und von Malerei und Musik mit einem Anflug rassischer Überlegenheit sprach) beobachtete ihn neiderfüllt.

    Der Vikar, der sogleich gekapert und neben Lady Hammergallow gesetzt wurde, warf ständig einen besorgten Blick engelwärts, während sie ihm nähere Einzelheiten über das Einkommen von Geigern erzählte – Einzelheiten, welche sie größtenteils während des Erzählens erfand. Der Vorfall mit den Brillen hatte ihre gute Laune ein wenig getrübt, aber sie war dann zu der Überzeugung gelangt, daß er sich noch im Rahmen zulässiger Originalität bewegte.
    Nun vergegenwärtigen Sie sich bitte den Grünen Salon in Haus Siddermorton; ein Engel, notdürftig mit dem Anzug eines Geistlichen verkleidet und eine Geige in den Händen, steht bei einem Flügel, und dazu eine ehrbare Gruppe von stillen, netten Leuten, hübsch gekleidet, überall im Raum verteilt. Erwartungsvolles Geschnatter – vereinzelte Bruchstücke der Konversation sind hörbar.
    „Er ist inkognito“, sagte die allerälteste Miss Papaver zu Mrs. Pirbright. „Wie eigenartig und köstlich! Jessica Jehoram sagt, sie habe ihn in Wien gesehen, aber sie kann sich an den Namen nicht mehr erinnern. Der Vikar weiß alles über ihn, aber er ist so verschlossen ...“
    „Wie aufgeregt und verlegen der Vikar wirkt“, sagte Mrs. Pirbright. „Ich habe es schon vorher bemerkt, als er sich neben Lady Hammergallow setzte. Sie will einfach seinen Kleidern keine Beachtung schenken. Sie fährt fort ...“
    „Seine Krawatte ist auch schief“, sagte die allerälteste Miss Papaver, „und seine Haare! Es schaut wirklich so aus, als hätte er sie heute noch nicht gebürstet.“
    „Scheint ein Ausländer zu sein. Affektiert. Alles recht schön und gut in einem Salon“, sagte George Harringay, der mit der jüngeren Miss Pirbright etwas abseits saß. „Aber was mich anlangt, so bevorzuge ich einen männlichen Mann und eine weibliche Frau. Was meinen Sie?“
    „Oh! – Das ist auch meine Meinung“, sagte die jüngere Miss Pirbright.
    „Geld und wieder Geld“, sagte Lady Hammergallow. „Ich habe gehört, daß einige von ihnen recht elegante Häuser führen. Man würde es kaum glauben ...“
    „Ich liebe Musik, Mr. Engel, ich liebe sie leidenschaftlich. Sie ruft etwas in mir wach. Ich kann es nur schwer beschreiben“, sagte Mrs.
    Jehoram. „Wer hat doch gleich diese köstliche Antithese geprägt: ,Leben ohne Musik ist barbarisch; Musik ohne Leben ist’ – Meine Güte!

    Vielleicht erinnern Sie sich? ,Musik ohne Leben’ – war es nicht Ruskin?“
    „Leider, ich weiß es nicht“, sagte der Engel.
    „Ich habe nur sehr wenig Bücher gelesen.“
    „Wie reizend“, sagte Mrs. Jehoram. „Ich wünschte, das hätte ich auch. Ich habe vollstes Verständnis für Sie. Ich würde genauso handeln, nur wir armen Frauen – ich glaube, es fehlt uns an Originalität – und hier unten wird man zu den verzweifeltsten Handlungen getrieben ...“
    „Ohne Zweifel ist er sehr hübsch. Aber bei einem Mann kommt es letztlich auf seine Körperkraft an“, sagte George Harringay. „Was meinen Sie?“
    „Oh! – Das ist auch meine Meinung“, sagte die jüngere Miss Pirbright.
    „Der verweichlichte Mann ist schuld an der männlichen Frau. Wenn der Glanz des Mannes sein Haar ist, was bleibt dann einer Frau noch?
    Und wenn Männer

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