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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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gestellt hatte und sich mit hastigen, ruckartigen Bewegungen das Kleid richtete und die Knöpfe wieder schloss, fast wie in Panik. Dann zog sie die Decke wieder fest um sich, rückte so weit von mir ab, wie es die Enge des Autos zuließ, und drückte die Stirn an die Fensterscheibe. Dann war sie still, erschreckend still. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Unsicher streckte ich die Hand aus und berührte sie ganz leicht am Arm. Zunächst zuckte sie zurück, ließ dann aber zu, dass ich ihr über den Arm strich. Allerdings hätte ich ebenso gut die Decke oder die Ledersitze streicheln können, denn sie fühlte sich an wie tot.
    Niedergeschlagen sagte ich: »Mein Gott, ich habe gedacht, Sie wollten es.«
    Nach kurzem Zögern antwortete sie: »Das habe ich auch gedacht.«
    Mehr sagte sie nicht. Also zog ich meine Hand verlegen wieder fort und hob meinen Hut auf. Zu allem Überfluss waren die Autofenster beschlagen wie in einer schlechten Komödie. Ich kurbelte das Fenster auf meiner Seite herab und hoffte damit zugleich die peinliche Atmosphäre missglückter Intimität zu vertreiben. Von draußen drang die kalte Nachtluft herein wie ein Schwall Eiswasser, und Caroline begann zu zittern. »Soll ich Sie jetzt nach Hause fahren, Caroline?«, fragte ich. Sie erwiderte nichts, aber ich ließ dennoch den Motor an, der schonungslos laut die Stille durchbrach, und wendete das Auto.
    Erst als wir auf die Straße nach Hundreds zurückgekehrt waren und an der Parkmauer entlangfuhren, regte sie sich wieder. Während wir auf das Tor zufuhren, setzte sie sich gerade hin, richtete sich das Haar und schob die Füße wieder in die Schuhe, blickte mich jedoch immer noch nicht an. Ich stieg aus und schob das Tor auf, und als ich wieder ins Auto zurückstieg, hatte sie die Decke von ihren Schultern genommen und saß aufrecht und gefasst da. Vorsichtig fuhr ich über den vereisten Weg bis zur kiesbedeckten Auffahrt. Einige Fenster warfen das Licht der Scheinwerfer zurück, ein weiches, ungleichmäßiges Schimmern wie Öl auf Wasser. Doch die Fenster selbst blieben dunkel, und als ich den Motor ausschaltete, schien sich das Herrenhaus näher zu schieben, bis es drohend vor dem sternenklaren Himmel aufragte.
    Ich packte den Türgriff, wollte aussteigen und ihr die Tür öffnen. Doch sie kam mir zuvor und sagte rasch: »Nein, bitte steigen Sie nicht aus. Ich will Sie nicht länger aufhalten.«
    In ihrer Stimme war keine Spur von Trunkenheit, auch keine mädchenhafte Albernheit, und sie schien auch nicht verärgert. Sie klang lediglich ein wenig kleinlaut. »Gut, dann bleibe ich hier sitzen und warte, bis Sie sicher im Haus sind«, erwiderte ich.
    Doch sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht hier vorne rein. Seit Roddie weg ist, hat Mutter Betty aufgetragen, nachts die Vordertür zu verriegeln. Ich gehe auf der Gartenseite rein. Ich habe den Schlüssel mitgenommen.«
    Ich sagte, dass ich sie in diesem Falle selbstverständlich begleiten würde, also stiegen wir beide aus dem Auto und marschierten in verlegenem Schweigen an den verschlossenen Fenstern der Bibliothek vorbei, dann gingen wir über die Terrasse auf die Nordseite. Es war so dunkel, dass wir uns den Weg beinahe blind suchen mussten. Gelegentlich berührten sich unsere Arme kurz, dann bewegten wir uns rasch wieder auseinander, nur um gleich darauf in der Dunkelheit erneut orientierungslos aufeinander zuzudriften. Einmal trafen unsere Hände sich und hätten sich beinahe ineinander verhakt; doch sie zog ihre Finger weg, als habe sie sich verbrüht, und auch ich zuckte zusammen und dachte an das schreckliche Gerangel im Auto. Die Dunkelheit war beinahe erstickend, als hätte man eine Decke über dem Kopf. Als wir um die nächste Ecke bogen, wurde auch das Licht der Sterne von den mächtigen Ulmen verdeckt. Ich holte mein Feuerzeug hervor und hielt die Hand schützend vor die Flamme, bis wir an der Tür waren. Caroline hielt den Schlüssel schon bereit.
    Als die Tür erst einmal offen war, blieb sie allerdings auf der Schwelle stehen, als sei sie plötzlich unsicher geworden. Das Treppenhaus hinter ihr war schwach erleuchtet, doch nachdem ich die Flamme meines Feuerzeugs gelöscht hatte, konnten wir im ersten Augenblick schlechter sehen als in der völligen Dunkelheit. Nachdem sich meine Augen wieder an das Dunkel gewöhnt hatten, sah ich, dass sie mir das Gesicht zuwandte, dabei aber den Blick gesenkt hielt. Leise sagte sie: »Das war dumm von mir, vorhin. Bis dahin war es so ein

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