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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Geräusch, als sie am Saal vorbeikam. Diesmal war es eher ein schnelles Trommeln oder Trippeln, so deutlich, dass sie sofort in den Raum trat und einen Fensterladen aufklappte. Doch genau wie vorher hatte das Geräusch aufgehört, kaum dass sie die Tür richtig geöffnet hatte. Sie überprüfte die Schüsseln und Eimer, die im Saal standen, um das von der Decke herabtropfende Wasser zu sammeln, und untersuchte rasch den mit Filzläufern abgedeckten Teppich, aber alles war trocken. Gerade wollte sie jede weitere Suche einstellen, als das Geräusch wieder begann. Diesmal schien es jedoch nicht aus dem Saal selbst zu kommen, sondern aus einem der angrenzenden Räume. Nun war es ein leises, aber zackiges Rat-tat-tat , wie sie sagte, so als ob ein Schuljunge gelangweilt mit einem Stock herumtrommelte. Verblüfft ging sie zurück in den Korridor und lauschte abermals. Sie folgte dem Geräusch bis ins Esszimmer, doch dort verstummte es plötzlich, nur um ein paar Sekunden später wieder anzufangen, diesmal offenbar auf der anderen Seite der Wand, im kleinen Salon.
    Im Salon saß jedoch bloß ihre Mutter und las in einer alten Zeitung. Mrs. Ayres hatte nichts gehört. »Gar nichts?«, fragte Caroline. »Bist du sicher?« Dann meinte sie: »Da, hörst du das?«, und hob die Hand. Ihre Mutter lauschte angestrengt und stimmte dann zu, dass da tatsächlich ein Geräusch sei. Ein »Pochen« nannte sie es und meinte, es könne vielleicht von Luft herrühren, die in den Heizungsrohren eingeschlossen sei. Zweifelnd durchquerte Caroline das Zimmer und untersuchte den betagten Heizkörper. Er fühlte sich lauwarm an, doch es tat sich nichts weiter. Als sie die Hand wieder wegzog, wurde das Klopfen dagegen lauter und deutlicher; nun schien es von oben, aus der Decke, zu kommen. Der Klang war so deutlich vernehmbar, dass Caroline und ihre Mutter geradezu das Gefühl hatten, sie könnten »mit den Augen verfolgen«, wie es sich über die Decke bewegte, von einer Seite des Zimmers zur anderen, wie ein kleiner, harter Prellball.
    Das geschah nachmittags, als Mrs. Bazeley bereits nach Hause gegangen war, doch nun dachten sie natürlich an Betty und fragten sich, ob sie möglicherweise in einem der oberen Räume arbeitete. Doch als sie nach ihr klingelten, kam sie direkt aus dem Untergeschoss; dort sei sie auch seit etwa einer halben Stunde gewesen und habe den Tee vorbereitet, wie sie sagte. Sie behielten Betty etwa zehn Minuten bei sich im kleinen Salon. Während dieser Zeit blieb es im Haus vollkommen ruhig, doch kaum hatte Betty den Salon verlassen, begann das Klopfen von neuem. Diesmal war es draußen im Korridor. Caroline ging schnell zur Tür und schaute hinaus. Mitten im Korridor stand Betty und blickte verwirrt nach oben, während ein leises, rasches Trommeln aus der Wandvertäfelung hoch über ihrem Kopf erklang.
    Keiner von ihnen hätte Angst gehabt, sagte Caroline, nicht einmal Betty. Das Geräusch klang zwar seltsam, aber keineswegs bedrohlich; tatsächlich schien es sie eher spielerisch von einem Ort zum nächsten zu führen, bis sie das Gefühl hatten, »einem albernen Streich« aufgesessen zu sein. Sie folgten dem Klopfen bis in die Eingangshalle. Dort war ohnehin die kühlste Stelle im ganzen Haus, an jenem Tag jedoch war es besonders eisig. Caroline rieb sich die Arme und blickte die zugige Treppe hinauf.
    »Wenn es nach oben gehen will«, sagte sie, »dann kann es allein gehen. So viel mache ich mir nun auch nicht aus dem blöden Ding!«
    Rat-ta-tat , erklang das Getrommel laut, wie eine empörte Antwort auf ihre Bemerkung, und danach schien sich das Geräusch widerwillig an einem Ort »niederzulassen«. Seltsamerweise schien es nun aus einem niedrigen Schrank aus Goldregenholz zu kommen, der neben der Treppe an der getäfelten Wand stand. Das Klopfen klang so lebendig, dass Caroline sich kaum traute, den Schrank zu öffnen. Sie packte die Türgriffe, trat jedoch ein ganzes Stück zurück, da sie schon halb damit rechnete, dass ihr beim Öffnen der Türen eine Art Springteufel entgegenkommen könnte. Doch die Türen schwangen ganz unspektakulär auf, und dahinter befand sich nichts als ein harmloses Durcheinander von ausrangierten Dekorationsgegenständen. Und als das Klopfen wieder erklang, wurde klar, dass es keineswegs aus dem Schrank kam, sondern von irgendwo dahinter. Caroline schloss die Schranktüren und beugte sich vor, um in den schmalen, dunklen Spalt zwischen der Rückseite des Schrankes und der Wand zu spähen.

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