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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Eltern gekommen sei und viele gute Erinnerungen an das Haus habe, an die Gartenanlagen, den Park … Er verstummte erst, als wir die überwucherte Zufahrt entlangfuhren. Als wir dann das Lorbeergestrüpp und die Nesseln hinter uns gelassen hatten und über die Kiesauffahrt fuhren, beobachtete ich, wie er das Haus mit den blinden Fenstern anstarrte, als traue er seinen Augen nicht.
    »Wahrscheinlich hat sich das Haus ein wenig verändert?«, meinte Bill Desmond zu ihm, während wir ausstiegen.
    »Verändert!«, erwiderte der Junge. »Ich hätte es kaum wiedererkannt! Es sieht aus wie ein Gebäude aus einem Horrorfilm. Kein Wunder, dass meine Tante …« Er verstummte verlegen, während seine knabenhaften Wangen sich knallrot verfärbten.
    Doch als wir uns zu der kleinen Gruppe der Trauergäste gesellten, die sich auf dem Weg in den kleinen Salon befand, bemerkte ich, wie auch andere sich umschauten und ganz offensichtlich denselben Gedanken hatten. Wir waren etwa fünfundzwanzig Personen, eigentlich zu viele für das kleine Zimmer, doch es gab schlicht keinen anderen Raum, in dem man den Leichenschmaus hätte abhalten können. Caroline hatte zusätzlich Platz geschaffen, indem sie die Möbel beiseitegeschoben hatte – doch unglücklicherweise waren dadurch die abgetretenen Teppiche und die Risse und fadenscheinigen Stellen an den Möbeln erst so richtig sichtbar geworden. Auf manche Gäste wirkte das vermutlich lediglich exzentrisch, doch für jeden, der Hundreds Hall zu seinen Glanzzeiten gekannt hatte, muss der Verfall des Hauses schockierend gewesen sein. Vor allem Carolines Onkel und Tante aus Sussex hatten sich schon gründlich umgesehen. Sie hatten den Festsaal mit der herunterhängenden Decke und der zerrissenen Tapete entdeckt, die verkohlte Ruine gemustert, die einmal Rodericks Zimmer gewesen war; und sie hatten am Ende des ungepflegten Parks die Lücke in der Mauer und die roten Neubauten betrachtet, die innerhalb der Mauer hochgeschossen waren wie die Pilze. Sie wirkten immer noch einigermaßen fassungslos. Genau wie die Desmonds und die Rossiters hielten sie es für ausgeschlossen, dass Caroline allein in Hundreds Hall blieb. Als ich hereinkam, hatten sie sie gerade beiseitegenommen und versuchten sie davon zu überzeugen, dass sie doch noch an diesem Nachmittag mit ihnen nach Sussex kommen solle. Doch sie schüttelte bloß den Kopf.
    »Ich kann im Augenblick noch nicht ans Weggehen denken«, hörte ich sie sagen. »Im Moment kann ich noch gar keinen klaren Gedanken fassen.«
    »Nun, das ist doch umso mehr Grund, dass wir uns um dich kümmern.«
    »Bitte …«
    Sie schob sich das Haar mit ungelenken Fingern zurück; es teilte sich und fiel ihr in Strähnen über die Wange. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, und ihr Hals wirkte so blass, dass man die Adern hervortreten sah, bläulich wie Prellungen. »Bitte drängt mich nicht weiter«, sagte sie gerade, als ich an ihre Seite trat. »Ich weiß ja, dass ihr mir nur helfen wollt.«
    Ich berührte sie leicht am Arm, und sie wandte sich mit dankbarem Blick zu mir um. »Du bist ja schon da«, sagte sie. »Sind die anderen auch alle angekommen?«
    »Ja«, erwiderte ich beruhigend. »Alle sind da, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles ist in Ordnung. Möchtest du etwas trinken oder einen Happen essen?«
    Auf dem Tisch lag eine Auswahl an belegten Broten bereit. Betty stand dabei, verteilte sie auf Teller und schenkte Getränke aus; ihre Wangen waren beinahe so bleich wie die Carolines, und ihre Augen waren rotgerändert. Sie war nicht mit zur Beerdigung gekommen, sondern im Haus geblieben und hatte das Essen vorbereitet.
    Caroline schüttelte den Kopf, als ob ihr der Gedanke an Nahrung Übelkeit verursachte. »Ich habe keinen Hunger.«
    »Ich denke, ein Gläschen Sherry würde dir guttun.«
    »Nein, auch das nicht. Aber vielleicht möchten ja mein Onkel und meine Tante …?«
    Onkel und Tante schienen im ersten Moment erleichtert, dass ich gekommen war. Ich war ihnen vor der Beerdigung als Hausarzt der Familie vorgestellt worden; wir hatten uns ein wenig über Mrs. Ayres’ Erkrankung und über die Rodericks unterhalten, und ich glaube, sie waren froh, dass ich Caroline beistand, denn verständlicherweise dachten sie, meine Anwesenheit sei rein beruflicher Natur, schließlich sah Caroline so schrecklich blass und erschöpft aus. Nun sagte die Tante: »Herr Doktor, stärken Sie uns doch bitte den Rücken. Es wäre ja anders, wenn Roderick hier wäre.

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