Der Besucher - Roman
wenn ich das nach all den schrecklichen Dingen sage, die passiert sind, aber ich erinnere mich an die Zeit nach der Beerdigung als eine der schönsten in meinem Leben. Ich verließ das Haus voller neuer Pläne; gleich am nächsten Tag fuhr ich nach Leamington, um die Eheschließung zu beantragen, und ein paar Tage später wurde der Termin festgelegt: Donnerstag, der siebenundzwanzigste Mai. Es kam mir so vor, als würde sich auch das Wetter auf diesen Tag vorbereiten, denn während der nächsten Wochen wurde es sonniger, die Tage wurden merklich länger und überall spross und grünte es. Auf Hundreds Hall waren seit Mrs. Ayres’ Tod die Fensterläden geschlossen, doch angesichts des erwachenden Frühlings und blauen Himmels draußen verursachten die Düsternis und die Stille plötzlich ein beklemmendes Gefühl. Ich bat Caroline um Erlaubnis, die Läden wieder öffnen zu dürfen, und am letzten Tag des April ging ich durch alle Zimmer im Erdgeschoss und klappte die Fensterläden zurück. Einige waren schon seit Monaten geschlossen, Staub hatte sich auf ihnen gesammelt, die Farbe blätterte ab, und beim Öffnen knarrten sie in ihren Angeln. Doch dieses Knarren erinnerte mich an ein Tier, das sich dankbar aus einem langen Winterschlaf erhebt, und die Holzdielen knirschten beinahe genüsslich in der Wärme des Tages, wie Katzen, die sich in der Sonne rekeln.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch Caroline so ins Leben zurückkehrte – wie gern hätte ich sie aus ihrer Lethargie geweckt. Nachdem die erste Zeit der Trauer vorüber war, schien sie noch niedergedrückter; jetzt, wo es keine Briefe mehr zu schreiben und keine Vorbereitungen für die Beerdigung zu treffen gab, wirkte sie schlaff und teilnahmslos. Ich musste meine Sprechstunden und Hausbesuche wieder aufnehmen, was zur Folge hatte, dass ich sie viele Stunden allein lassen musste. Da Mrs. Bazeley nicht mehr da war, gab es etliche Tätigkeiten im Haushalt, die sie hätte verrichten können, doch Betty erzählte mir, dass sie den ganzen Tag lang bloß seufzend und gähnend dasaß, ausdruckslos aus dem Fenster starrte, Zigaretten rauchte oder an den Fingernägeln kaute. Sie schien unfähig, irgendetwas für die Hochzeit oder die anstehenden Veränderungen zu planen; sie zeigte weder Interesse am Landgut noch am Park. Sogar das Interesse am Lesen hatte sie verloren, die Bücher würden sie langweilen und enttäuschen, sagte sie; die Wörter schienen von ihrem Gehirn abzuprallen, als sei es aus Glas.
Ich erinnerte mich wieder an Seeleys Rat auf der Beerdigung: »Reisen Sie mit ihr woandershin, ein Neubeginn« – und machte mir Gedanken über unsere Hochzeitsreise. Ich dachte daran, wie gut es ihr tun würde, aus ihrer gewohnten Umgebung fortzukommen – in eine ganz andere Landschaft, in die Berge, an den Strand oder eine zerklüftete Küste. Eine Zeit lang zog ich Schottland in Betracht, dann dachte ich an den Lake District. Doch dann erwähnte einer meiner Privatpatienten zufällig Cornwall und erzählte mir von einem Hotel, in dem er kürzlich Urlaub gemacht hatte; es befinde sich an einer der kleinen Buchten, erzählte er, malerisch gelegen, ganz ruhig und romantisch … Es kam mir vor wie ein Wink des Schicksals. Ohne Caroline gegenüber etwas zu erwähnen, erkundigte ich mich nach der Adresse des Hotels und buchte für eine Woche ein Zimmer, für »Doktor Faraday und Gattin«. Ich dachte mir, dass wir die Hochzeitsnacht im Schlafwagen verbringen könnten, im Zug von London nach Cornwall; die Vorstellung war von einem gewissen Glamour umgeben, der Caroline bestimmt gefallen würde. Und in den vielen einsamen Stunden, die ich von ihr getrennt war, malte ich mir oft diese Zugfahrt aus: die schmale Schlafkoje; von draußen schimmerte Mondlicht durch das Rollo herein; der Schaffner ging diskret an unserer Tür vorbei; das sanfte Auf und Ab des Zuges, der über die glänzenden Geleise ruckelte …
In der Zwischenzeit rückte der Hochzeitstermin immer näher, und ich wollte sie dazu bewegen, die Feierlichkeiten weiter zu planen.
»Weißt du, ich hätte gern David Graham als Trauzeuge«, sagte ich zu ihr, als wir an einem Sonntagnachmittag Anfang Mai durch den Park spazierten. »Er ist mir immer ein guter Freund gewesen. Anne muss natürlich auch kommen. Und du solltest dir überlegen, wer deine Brautjungfer werden soll, Caroline.«
Wir gingen durch ein Feld voller Glockenblumen. Von einem Tag auf den anderen schien plötzlich der ganze Park mit
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