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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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dass er auf Carolines vermutete Fingerbreite passte. Daher fuhr ich nach Hause, ohne irgendetwas für das viele Geld in der Hand zu haben. Mit jeder Meile verließ mich ein Stück meiner Kühnheit; ich umklammerte mit bleichen Knöcheln das Steuer und dachte daran, was ich getan hatte. Während der nächsten Tage bekam ich regelrechte Panikattacken; nervös ging ich meine Finanzen durch, fragte mich, wie zum Teufel ich überhaupt eine Frau ernähren wollte, und machte mir wieder Sorgen über die Einführung des staatlichen Gesundheitswesens. In meiner Verzweiflung ging ich zu Graham – der mich allerdings auslachte, mir einen Whisky einschenkte und es schließlich schaffte, mich zu beruhigen.
    Ein paar Tage später fuhr ich wieder nach Leamington, um den Ring und das Kleid abzuholen. Der Ring war schwerer, als ich ihn in Erinnerung hatte, was mich plötzlich über die Maßen beruhigte; er lag behaglich auf einem gerüschten Seidenpolster in einem teuer aussehenden Chagrinlederkästchen. Auch das Kleid und die Blumen waren in Schachteln verpackt, was mir ein gutes Gefühl gab. Das Kleid war genauso geworden, wie ich es mir vorgestellt hatte: schlicht und schnörkellos, aus edlem, festem Stoff und so neu, dass es richtig glänzte.
    Die Verkäuferinnen sagten, sie hofften, dass es der Dame besser ginge. Sie wurden sehr gefühlvoll, wünschten ihr »viel Glück und gute Besserung und eine lange, glückliche Ehe«.
    Das war an einem Dienstag, zwei Wochen und zwei Tage vor dem Hochzeitstermin. An diesem Abend arbeitete ich im Krankenhaus, den Ring hatte ich in der Tasche und die Schachtel mit dem Kleid im Kofferraum meines Autos. Am nächsten Tag war so viel zu tun, dass ich nicht auf Hundreds Hall vorbeischauen konnte. Doch am Donnerstagnachmittag schaffte ich es endlich, dorthin zu fahren. Wie immer in letzter Zeit öffnete ich das Tor zum verriegelten Park mit meinem eigenen Schlüssel, dann fuhr ich pfeifend, mit heruntergekurbeltem Autofenster die Zufahrt entlang, denn es war ein herrlicher Tag. Ich klemmte mir die Schachteln unter den Arm und ging leise durch den Garteneingang ins Haus. Am Absatz zur Dienstbotentreppe ins Tiefgeschoss rief ich leise nach unten:
    »Betty! Bist du da?«
    Sie kam aus der Küche und blinzelte zu mir empor.
    »Wo ist Miss Caroline«, fragte ich sie. »Im kleinen Salon?«
    Sie nickte. »Ja, Herr Doktor. Da is sie schon den ganzen Tag.«
    Ich hob die Schachteln empor. »Was meinst du wohl, was ich hier drin habe?«
    Sie spähte neugierig und verwirrt hinauf. »Ich weiß nich.« Dann ging ein erkennendes Lächeln über ihr Gesicht. »Sachen für Miss Carolines Hochzeit!«
    »Vielleicht.«
    »Oh, kann ich die Sachen sehen?«
    »Noch nicht. Später vielleicht. Bring uns in einer halben Stunde den Tee. Vielleicht zeigt Miss Caroline es dir dann.«
    Sie machte eine Art Freudensprung und kehrte in die Küche zurück. Ich ging weiter ins Vorderhaus, manövrierte vorsichtig die Schachteln an dem grünen Vorhang vorbei, dann trug ich sie weiter zum kleinen Salon. Caroline saß auf dem Sofa und rauchte eine Zigarette.
    Im Zimmer war es stickig, der Rauch hing zäh wie geronnenes Eiweiß in der warmen, reglosen Luft, als hätte Caroline schon einige Zeit so dagesessen. Ich stellte meine Schachteln auf der Sitzfläche neben ihr ab, küsste sie und sagte: »So ein herrlicher Tag draußen! Mein Liebes, du wirst hier drinnen noch geräuchert. Darf ich vielleicht die Terrassentür öffnen?«
    Sie würdigte die Schachteln keines Blickes. Stattdessen saß sie in verkrampfter Körperhaltung da und biss sich auf die Innenseite ihres Mundes. »Ja, wenn du willst«, erwiderte sie.
    Ich glaube, die Terrassentüren waren nicht mehr richtig geöffnet worden, seit sie und ich im Januar durch ebenjene Türen das Haus verlassen hatten, um uns die Baustelle anzusehen. Die Griffe ließen sich nur schwer drehen; die Tür knarrte im Rahmen, als ich sie öffnete, und die dahinterliegenden Steinstufen waren mit Ranken überwuchert, die gerade frische Triebe bekamen. Doch kaum waren die Türen offen, kam ein frischer Lufthauch aus dem Garten herein – feucht und duftend, mit einer Ahnung von frischem Grün.
    Ich kehrte wieder zum Sofa zurück. Caroline drückte ihre Zigarette aus und rückte nach vorn, als wolle sie sich erheben.
    »Nein, steh noch nicht auf«, sagte ich. »Ich will dir noch etwas zeigen.«
    »Ich muss mit dir reden«, sagte sie.
    »Ich muss auch mit dir reden. Ich bin fleißig gewesen – für dich. Für

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