Der Besucher - Roman
Glockenblumen übersät, überall schossen sie aus dem Boden hervor. Sie bückte sich, um eine zu pflücken, rollte den Stängel zwischen den Fingern hin und her und starrte stirnrunzelnd auf die sich drehenden Blüten.
»Eine Brautjungfer«, wiederholte sie dumpf. »Muss das denn sein?«
Ich lachte. »Natürlich brauchst du eine Brautjungfer, Schatz. Jemand muss doch zwischendurch deinen Brautstrauß halten!«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich weiß gar nicht, wen ich fragen könnte.«
»Aber da muss es doch irgendjemanden geben. Wie wäre es denn mit dieser Freundin, der wir auf dem Ärzteball begegnet sind? Brenda, so hieß sie doch, oder?«
Sie blinzelte. »Brenda. Ach, nein … Die würde ich wirklich nicht … nein.«
»Wie wäre es dann mit Helen Desmond, als … als Trauzeugin wenigstens? Sie würde sich bestimmt geehrt fühlen.«
Sie hatte angefangen, die blauen Blüten auseinanderzuzupfen, mit ihren abgebissenen Fingernägeln teilte sie unbeholfen die Blütenblätter ab.
»Ja, das würde sie wahrscheinlich.«
»Gut. Dann fahre ich am besten mal bei ihr vorbei und frage sie, oder?«
Sie runzelte wieder die Stirn. »Das brauchst du nicht. Ich kann selbst mit ihr sprechen.«
»Ich möchte nicht, dass du dich mit den ganzen Einzelheiten abgeben musst.«
»Aber es ist doch üblich, dass sich eine Braut damit abgibt, oder?«
»Aber nicht, wenn sie all das durchgemacht hat, was du durchgemacht hast«, sagte ich und hakte sie unter. »Ich möchte es dir so leicht wie möglich machen, Liebling.«
»Mir leicht machen?«, sagte sie und sperrte sich gegen den sanften Zug meiner Hand. »Oder …« Sie beendete ihren Satz nicht.
Ich blieb stehen und starrte sie an. »Was meinst du denn?«
Sie hielt den Kopf gesenkt und zupfte weiter an den Blütenblättern herum. Ohne aufzublicken, erwiderte sie: »Ich meine bloß: Muss denn wirklich alles so schnell gehen?«
»Aber worauf sollen wir denn noch warten?«
»Keine Ahnung. Auf nichts, denke ich mal … Ich wünschte nur, die Leute würden mich nicht ständig darauf ansprechen. Gestern hat mir Pagets Lieferjunge gratuliert, als er das Fleisch gebracht hat. Und Betty redet auch schon von nichts anderem mehr.«
Ich lächelte. »Aber das ist doch nicht schlimm. Die Leute freuen sich eben.«
»Wirklich? Wahrscheinlich amüsieren sie sich eher königlich. Das tun die Leute doch immer, wenn eine alte Jungfer heiratet. Ich nehme an, sie finden es lustig, dass der alte Ladenhüter endlich an den Mann kommt. So als wäre ich ganz hinten aus dem Regal hervorgekramt worden.«
»Also das habe ich deiner Meinung nach getan: dich ganz hinten aus dem Regal hervorgekramt?«
Sie warf die verstümmelte Blume weg und erwiderte müde und beinahe verärgert: »Ach, keine Ahnung, was du getan hast.«
Ich hielt sie an den Händen fest und drehte sie, so dass sie mich anblicken musste. »Ich kann dir sagen, was ich getan habe: Zufällig habe ich mich in dich verliebt! Wenn die Leute das komisch finden sollten, dann haben sie wirklich einen merkwürdigen Sinn für Humor.«
Noch nie hatte ich so offen mit ihr über meine Gefühle geredet, und einen Moment lang sah sie mich überrascht an. Dann schloss sie die Augen und wandte das Gesicht ab. Die Sonne fiel auf ihr Haar, und ich entdeckte eine einzelne graue Strähne in dem Braun.
»Tut mir leid«, murmelte sie. »Du bist immer so gut, nicht wahr? Und ich bin immer bloß garstig. Aber es ist so schwer. So vieles ist anders geworden. Manches dagegen scheint sich leider gar nicht zu verändern.«
Ich legte die Arme um sie und zog sie an mich. »Wir können doch alles verändern, was wir wollen, wenn Hundreds erst mal uns gehört.«
Ihre Wange ruhte auf meiner Schulter, doch an ihrer gespannten Haltung spürte ich, dass sie die Augen geöffnet hatte und durch den Park zum Haus hinüberblickte.
»Wir haben uns noch nie darüber unterhalten, wie es sein wird. Ich werde dann eine Arztfrau sein.«
»Du wirst schon sehen: Du wirst eine wunderbare Arztfrau abgeben.«
Sie hob den Kopf und blickte mich an: »Aber wie soll das gehen, mit dir, mit Hundreds? Du redest immer über das Anwesen, als hättest du genügend Zeit und Geld, um es wieder auf Vordermann zu bringen. Wie soll das alles funktionieren?«
Ich blickte ihr ins Gesicht und hätte ihr gern Mut gemacht, doch in Wahrheit wusste ich selbst nicht recht, wie es eigentlich funktionieren sollte. Kürzlich hatte ich Graham von meinem Plan erzählt, nach der
Weitere Kostenlose Bücher