Der Besucher - Roman
uns, sollte ich wohl besser sagen. Schau mal.«
»Ich habe nachgedacht …«, setzte sie wieder an, als habe sie mich gar nicht gehört und wollte noch mehr sagen. Doch ich hatte schon die größte der Schachteln herangezogen, und endlich schaute sie den Karton an und sah das Etikett. Mit plötzlichem Argwohn sagte sie: »Was ist denn das?«
Ihr Tonfall verunsicherte mich. Ich erwiderte: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich fleißig gewesen bin – für uns.« Ich befeuchtete mir die Lippen mit der Zunge, mein Mund war ganz trocken geworden. Während ich ihr die Schachtel hinhielt, wankte meine Zuversicht, und ich sprach hastig weiter:
»Ich weiß ja, dass das nicht ganz den Konventionen entspricht, aber ich dachte mir, dass es dir nichts ausmacht. Auch alles andere an unserer Beziehung war ja eigentlich nicht sehr konventionell. Ich möchte doch so gern, dass es ein besonderer Tag wird.«
Ich legte ihr die Schachtel auf den Schoß. Nun wirkte sie beinahe, als ob sie Angst davor hätte. Als sie den Deckel abhob, das Seidenpapier auseinanderschlug und das schlichte Kleid darunter entdeckte, blieb sie stumm. Das Haar fiel ihr ins Gesicht und verbarg ihre Miene.
»Gefällt es dir?«, fragte ich.
Sie antwortete nicht.
»Ich hoffe bloß, es passt«, sagte ich eifrig. »Ich habe eines deiner Kleider als Muster abgegeben. Betty hat mir dabei geholfen – wir waren richtige Geheimagenten, sie und ich! Aber wir haben noch genügend Zeit, es ändern zu lassen, falls es nicht passen sollte.«
Sie rührte sich nicht. Mein Herz machte einen Satz und schlug dann schneller. »Gefällt es dir denn?«, fragte ich noch einmal.
»Ja, sehr«, erwiderte sie leise.
»Ich habe auch etwas als Schmuck für Kopf und Hände besorgt.«
Ich reichte ihr die zweite Schachtel, und sie öffnete sie langsam. Sie sah die Seidenblumensträuße, holte sie jedoch nicht aus ihrer Verpackung. Sie saß bloß da und starrte darauf; noch immer war ihr Gesicht durch die herunterhängenden Haare vor mir verborgen. Wie ein Narr preschte ich noch weiter vor und holte das kleine Chagrinlederkästchen aus der Tasche meines Jacketts.
Als sie sich umwandte, schien sie der Anblick des Kästchens wie ein Stromschlag zu treffen. Sie sprang auf, dabei glitten ihr die Schachteln vom Schoß und fielen zu Boden.
Sie marschierte in Richtung der geöffneten Terrassentür und kehrte mir den Rücken zu; ihre Schultern bewegten sich, anscheinend rang sie die Hände. Sie sagte: »Tut mir leid, ich kann das nicht.«
Ich kroch über den Boden und sammelte das Kleid und die Blumen wieder ein. Während ich das Kleid zusammenfaltete, sagte ich: »Verzeih mir, Liebling. Ich hätte dich damit nicht so überfallen dürfen. Wir können uns das auch später noch anschauen.«
Sie wandte sich halb zu mir um. Ihre Stimme klang tonlos: »Ich meine nicht das Kleid. Ich meine alles. Ich kann das nicht. Ich kann dich nicht heiraten, ich kann’s einfach nicht!«
Ich war immer noch dabei, das Kleid zusammenzufalten, und einen Moment lang kamen meine Finger ins Stocken. Doch dann legte ich das Kleid wieder ordentlich in die Schachtel und stellte sie auf dem Sofa ab, ehe ich zu ihr ging. Mit starrer Haltung und beinahe ängstlicher Miene sah sie mich näher kommen. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte: »Caroline.«
»Tut mir leid«, sagte sie wieder. »Ich mag dich wirklich sehr. Immer schon. Aber ich glaube, ich habe Zuneigung mit … mit etwas anderem verwechselt. Eine Zeit lang war ich mir selbst unsicher. Das hat es auch so schwer gemacht. Du bist ein so guter Freund gewesen, und ich war dir sehr dankbar dafür. Du hast mir so viel geholfen, mit Rod und mit Mutter. Aber ich finde nicht, dass man aus Dankbarkeit heiraten sollte, oder? Bitte sag doch was.«
Ich sagte: »Mein Liebling. Ich … Ich glaube, du bist müde.«
Ein Ausdruck von Bestürzung trat in ihr Gesicht. Sie bewegte die Schulter, um mich abzuschütteln. Meine Hand glitt an ihrem Arm herunter und griff stattdessen ihr Handgelenk. »Nach allem, was passiert ist, ist es doch kein Wunder, dass du ein bisschen durcheinander bist«, sagte ich. »Der Tod deiner Mutter …«
»Aber ich bin überhaupt nicht durcheinander«, erwiderte sie. »Erst der Tod meiner Mutter hat mich dazu gebracht, die Dinge wieder klar zu sehen. Darüber nachzudenken, was ich will und was nicht. Und auch darüber nachzudenken, was du wohl möchtest.«
Ich zog an ihrer Hand. »Komm wieder zum Sofa. Du bist müde.«
Sie machte
Weitere Kostenlose Bücher