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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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nahm den schweren goldenen Ring heraus und warf ihn ebenfalls nach ihr. Ich schäme mich, das zu sagen, aber ich warf ihn ziemlich fest und wollte sie wohl auch damit treffen. Sie duckte sich weg, und der Ring flog durch die offene Terrassentür. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er direkt nach draußen fliegen würde, doch vorher muss er gegen eine der Glasscheiben geschlagen sein. Ein Knall wie von einem Luftgewehr erklang, überraschend laut in der Stille von Hundreds, und über eine der hübschen alten Scheiben zog sich plötzlich wie aus dem Nichts ein Riss.
    Der Anblick und der laute Knall hatten mich selbst erschreckt. Ich blickte Caroline an und sah, dass sie ebenfalls Angst bekommen hatte. »Ach, Caroline, verzeih mir«, sagte ich und machte mit ausgestreckten Armen einen Schritt auf sie zu. Doch sie wich hastig, fast panisch vor mir zurück, und als ich sie so vor mir fliehen sah, ekelte ich mich plötzlich vor mir selbst. Ich wandte mich um und verließ das Zimmer. Draußen im Korridor stieß ich fast mit Betty zusammen. Sie war mit dem beladenen Teetablett nach oben gekommen – mit leuchtenden Augen –, und sie brannte darauf, endlich einen Blick auf Miss Carolines schöne neue Hochzeitssachen zu werfen, wie ich es ihr versprochen hatte.

14
     
     
     
     
     
     
    D eine Gefühlslage während der folgenden Wochen vermag ich kaum zu beschreiben. Schon die Fahrt zurück nach Lidcote war eine Art Folter für mich. Durch die Bewegungen des Autos schienen meine Gedanken aufgepeitscht zu werden wie wütende Brummkreisel. Wie das Unglück es wollte, traf ich auf dem Rückweg ins Dorf auch noch Helen Desmond. Sie winkte mir erfreut zu, so dass ich unmöglich weiterfahren konnte, ohne das Fenster herunterzukurbeln und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Sie wollte mich etwas über die Hochzeit fragen. Ich brachte es nicht über mich, ihr zu erzählen, was gerade zwischen Caroline und mir vorgefallen war, deshalb hörte ich bloß zu, nickte und lächelte und tat so, als wolle ich mir die Dinge durch den Kopf gehen lassen. Ich erwiderte, dass ich ihre Vorschläge mit Caroline besprechen und ihr dann Bescheid sagen würde. Gott weiß, was sie über mein Verhalten dachte. Mein Gesicht war starr wie eine Maske und meine Stimme klang halb erstickt. Endlich gelang es mir weiterzufahren, unter dem Vorwand, dass ich noch einen dringenden Hausbesuch machen müsse. Als ich zu Hause ankam, stellte ich fest, dass dort tatsächlich eine Nachricht auf mich wartete; ich solle doch bitte noch bei einem schweren Fall vorbeischauen, ein paar Meilen außerhalb von Lidcote. Doch der Gedanke, wieder in mein Auto zurückzusteigen, erfüllte mich mit Grauen. Ich fürchtete, womöglich noch von der Straße abzukommen. Nach einer Minute lähmender Unschlüssigkeit schrieb ich eine kurze Nachricht an David Graham, in der ich ihm mitteilte, ich hätte eine schlimme Magenverstimmung. Ich bat ihn, sich um den Fall zu kümmern und auch die Patienten aus meiner Abendsprechstunde zu übernehmen, falls es ihm möglich sei. Meiner Haushälterin erzählte ich dieselbe Geschichte, und nachdem sie Graham die Nachricht vorbeigebracht und mir seine mitfühlende Antwort übermittelt hatte, gab ich ihr den Rest des Tages frei. Kaum war sie verschwunden, hängte ich eine Notiz an die Tür zur Praxis, schob den Riegel vor und verschloss die Vorhänge. Ich holte die Flasche mit dem süßen Sherry, die ich im Schreibtisch verwahrt hielt, und leerte dort, in meiner abgedunkelten Arzneiausgabe, ein Glas nach dem anderen, während jenseits des Vorhangs, draußen vor dem Fenster, die Leute vorbeigingen.
    Etwas Besseres fiel mir nicht ein. In nüchternem Zustand hatte ich das Gefühl, der Kopf würde mir zerspringen. Dass ich Caroline verloren haben sollte, war schon schwer genug zu ertragen, doch an ihrem Verlust hing noch so viel mehr. Alles, was ich mir gewünscht und erhofft hatte, sah ich vor meinen Augen dahinschmelzen. Ich war wie ein Verdurstender, der die Hand nach der Fata Morgana einer Quelle ausstreckt und sehen muss, wie sich das Trugbild in Staub verwandelt. Und dabei war ich mir schon so sicher gewesen, am Ziel angekommen zu sein – eine zusätzliche schmerzvolle Demütigung. Ich dachte an die Leute, denen ich nun davon erzählen musste: Seeley, Graham, den Desmonds und den Rossiters – jedem Einzelnen. Ich sah ihre teilnahmsvollen oder mitleidigen Gesichter vor mir und malte mir aus, wie Bedauern und Mitleid sich hinter meinem Rücken in

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